Grand Austria Hotel

GRAND AUSTRIA WIEN HOTEL

Die Anreise:
Es gibt ja nicht wenige Spielefans, die meinen man sollte von Lookout außerhalb von Rosenberg inzwischen die Finger lassen. Spiele in den oberen Rängen der allgemeinen Beliebtheitsskala findet man eher selten. Die meisten Lookout-Spiele landen noch vor dem Verfallsdatum der Halbwertzeit eines Brettspiels in den Mathtrades. Einzig Snowdonia und Suburbia haben so ein bisschen ihre Fanboys gefunden.

Das Stadion:
Der Kellner Typ Leopold vom Weißen Rössl, der uns am Eingang des Hotels empfängt, weckt Sehnsüchte nach einer heilen Welt, wo der Gast noch König ist. Wer beim Sonntagsbesuch bei seiner Großmama zu einer Tasse Kaffee Haag zwischen Bienenstich, Schwarzwälder Kirschtorte und einem Stückchen Linzer wählen konnte, während im Fernsehen Peter Alexander und Waltraut Haas, die an der Seite auf der Packung um die Ecke flaniert, am Wolfgangsee zueinander fanden, weiß wofür dies hier ewig gut ist. Von allen Seifenblasenspielen ist die Operette einfach die schönste. Ein einfältiger, von Romantik durchdrungener Plot mündet herrlich vorhersehbar in ein der größten, menschlichen Bedürfnisse: einem glücklichen Ende. Wien, Wien, nur Du allein – nun endlich auch als Brettspiel

Die Heimfans:
Der thematisch seltene Gast Herr Schöngeist betritt das Foyer des Eurogame. Die Bohème der Spielerzunft nimmt Platz am Spieltisch und bestellt eine Partie Grand Austria Hotel mit Sacher Torte und Mozartkugeln. Schriftsteller, Künstler, Musiker und musische Menschen mit gut- und gegenbürgerlicher Gesinnung wetteifern um die Gunst des Kaisers und den Hotelsieg.

Der Gästeblock:
Die Fahnen am Zaun provozieren die Heimmannschaft: „Grand Austria Hotel ist ein Optimierspiel ohne Seele“ steht da z.B. auf einem Banner. Der Block der Anti-Euro-Ultras intoniert die Gegnerschaft radikaler: „Wir-wollen-keine Grand-Hotel-Schweine!“. Derb. Das passt so gar nicht zum gepflegten Ton in der Wiener Hotelszene.

Die Startaufstellung:
Wo sonst Holz, Stein und Eisen dem seelenlosen Ressourcenklötzchen eine Funktion geben, verleihen hier Strudel, Torte, Kaffee und Rotwein dem Ressourcenklötzchen eine ungewohnte Schmackhaftigkeit, die entzückt. Der orale fixierte Charakter möchte die Klötzchen aus der chinesischen Holzkonditorei am liebsten in den Mund nehmen und genüsslich kauen.

Das Spielfeld:
Gelbe, rote, blaue und grüne (neutrale) Hotelgäste warten vor Schloss Schönbrunn auf einen freien Platz am Tisch im hoteleigenen Kaffeehaus. Ab und zu kommt der Kaiser von Österreich-Ungarn vorbei und markiert ostpreußische Erziehungsmethoden von Belohnung und Strafe.

Die erste Hälfte:
Man holt sich Gäste in sein Café, erfüllt deren Wünsche nach Strudel, Torte, Kaffee und Rotwein, um sie dann in ein freies Zimmer einzuquartieren. Dafür kassiert man eine Belohnung, die einem helfen soll, noch mehr Gäste ins Hotel zu kriegen. Leider mangelt es an allem: Strudel, Torte, Kaffee, Rotwein und feie Zimmer. Schuld daran sind wieder einmal Würfel, die sich partout nicht kontrollieren lassen. Da wirst närrisch.

Die zweite Hälfte:
Der vermeintlich seelenlose Optimierer optimiert hart am Tellerrand. Das Würfelglück macht’s möglich. Oder unmöglich. Der Würfel, den man nicht braucht, kommt zu Hauf oder die Zahl, die man braucht, kommt gar nicht. Und das über sieben Runden. Die Küchentür in Grand Austria Hotel kann derart klemmen, dass hinter ihr vor Zorn das Geschirr durch den Raum fliegt. Und wer nicht zusieht, dass er auf der Kaiserleiste seinen Hintern bewegt und eine Bürde vom Kaiser aufgebrummt bekommt, kotzt auf seinen Kuchenteller und rennt dem Spiel vergeblich hinterher.

Torschütze des Spiels:
Hans Krankl. I werd narrisch.

Déjà-Vu des Spiels:
Ein Eurogame. Selbstverständlich seelenlos.

Drama des Abends:
Die Würfel. Der Kaiser. Das lässt sich der Stratege nicht gefallen: Kottan ermittelt gegen beide.

Haken des Spiels:
Die Downtime. Zu viert abartig: Der Startspieler wartet satte sieben Züge bis er wieder dran kommt. Das reicht um für die Gäste am Spieltisch einen Apfelstrudel zu backen. Der gesunde Menschenverstand wird zusehen, dass er Grübler meidet. Dies ist womöglich der größte Verdienst des Spiels: die Aussortierung von Denkapparaten aus dem potenziellen Mitspielerkreis.

Erkenntnis des Spiels:
Künstlerische Innovation sucht man in der Wiener Moderne vergeblich. Recht solitär spielt der Hotelier d'Autiste in einsamer Konvention vor sich hin, wenn ihm nicht gerade jemand den so dringen benötigten Würfel wegschnappt. Was bleibt ist Geschmacksache in einem Getriebe, indem man tunlichst nicht aus der Balance geraten sollte. Richtig gute rationale Gründe das Herumoptimieren zu mögen, gibt es nicht. Ich tue es trotzdem. Das mag auch am charmanten Thema liegen oder an der formidablen Gestaltung des österreichischen Heimatdesigners Klemens Franz oder einfach daran, dass bei mir das Herz der Operette über ein Spiel entscheidet und nicht der Verstand.


Spielwochenende im Sporthotel: