Rokoko

AS MONACOKOKO



Die Anreise:
Der eitle Gockel der Grande Nation in ornamentalen Zeiten: Ludwig XV interpretiert das Dasein als hedonistisches Event. Die Realität auf den Straßen wird einfach ignoriert und stattdessen lieber der Hofadel bei Lust und Laune gehalten. Überkandidelte Umgangsformen, gespreizte Finger und verschwendungslustige Tanzveranstaltungen mit albernem Kichersex hinter roten Samtvorhängen garnieren die absolutistische Seifenblase. Das luftige Gehabe bringt einen Kleiderstil hervor, der später französische Modemacher begründet, die exaltierte Namen tragen werden. Die Klamotten sind schrill, ausladend, lustig - bis zur Lachhaftigkeit und kindischen Selbstkomödie. Zum coolsten Stück Crossover Pop mit einer bewusst geschichtsklitternden Zeitabbildung zählt Sofia Coppolas musikvideoästhetisches Filmbravourstück Marie Antoinette, in dem sich Kirsten Dunst als vereinsamte Partyperücke inmitten ihrer Bling Bling Posse die innere Leere mit konditorhafter Materie zu versüßen versucht: im Konsumrausch zwischen Coppenrath & Wiese und Petits Fours hat Coppola in den Short Cuts von Maries extravaganter Schuhsammlung auch ein Paar Converse Chucks eingebaut und so eine Brücke zur Gegenwartskultur geschlagen. Auch die Verbindung zum Postpunk im Soundtrack kommt nicht von ungefähr: der Wortklang in Punk und Prunk deutet stiefmütterliche Verwandtschaft an. Vivian Westwood und Gothic haben sich gerne in der Dekadenz des Barock und Rokoko bedient, um Fetzen daraus neu zu vernähen und adelsironisch gekonterte Vogelnestfrisuren zu bauen.


Das Stadion:
Auf der Spieleschachtel von Rokoko denken wir uns Marie Antoinette beim Maskenball in die Cover-Dame. Im Hintergrund hören wir Honkong Garden von Siouxsie & The Banshees in der Score Version mit dem höfischen Intro. Wir goutieren auch das Fehlen jeglicher Logos von Sponsoren auf der Schachtel mit denen unsere Clubtrikots inzwischen zugenäht werden. Denn Wir sind das Volk. Ganz schlimm ist es beim amerikandiszuckerten „Eishockei“ (O-Ton Xaver Unsinn) und beim Handball geworden, wo selbst der Boden der Turnhalle zum Logofriedhof wird.


Die Heimfans:
In der fliegenden Fantasie des Rokoko werden aus weißen Ressourcensteinen und grauen Oktaedern Seide und Garn. Formidable!


Der Gästeblock:
Die etablierten Modelabels spielen Pret-à-Porter von Ignacy Trzewiczek. Aus Trotz?


Die Startaufstellung:
Fashion & Style. Pop pur. Wir sind tapfere Schneiderlein, die für Ludwigs Upper Class bunte Outfits nähen sollen. Neben trés chicen Damenkleidern und Herrenröcken kümmern wir uns auch um die Ausstattung der Lustwandlung, die Spinett-Popmusiker und das Abbrennen von Pyrotechnik auf dem Stadiondach. Dafür hat man zu Beginn fünf Karten aus drei Typen auf der Hand: Meister, Geselle, Lehrling. Jeder sucht sich jede Runde drei Karten aus, um damit jeweils eine von sechs Aktionen zu machen. Zudem hat jeder der Personen einen individuellen Zweit-Aktions-Ausnutz-Nutzen. Weitere Leute kann man gegen Bezahlung einstellen. Dabei ist es nicht jedem Angestellten gestattet alle Aktionen durchzuführen. Auch in Rokoko denkt die herrschende Klasse hierarchisch: Während der Meister freie Wahl hat, werden dem Gesellen bereits Einschränkungen auferlegt, die den Lehrling dann noch verschärfter betreffen. Soweit das Schnittmuster.


Das Spielfeld:
Versailles von innen.


Die erste Hälfte:
Deck für Auftragsarbeiten bauen. Stoffe, Seide, Garn besorgen und Hof Couture schneidern. Die Modestücke tänzeln direkt in den Ballsaal, wo sie Points (frz.) bringen oder werden alternativ verkauft und spülen so Francs in die chronisch klamme Staatskasse. Überflüssig gewordene Angestellte im Schneiderdeck lassen sich problemlos wieder loswerden - es winkt die betriebsbedingte Kündigung.


Die zweite Hälfte:
Es wird eng im Lustschloss. Die Säle werden voll und voller. Mehrheiten zeichnen sich ab. Man möchte überall mittanzen. Am Throne Ludwigs stolzieren pompösere Kleider, die in der Schlusswertung zum Feuerwerk aufs Dach steigen wollen. Die finale Siegpunktrechnung lässt keine Rechenwünsche offen. Everything counts in large amounts: Kleidermehrheit in den fünf Ballsälen, Feuerwerk, Statuen, Ansehenspunkte für Kleider, Ausstattungen in den Sälen sowie den Bonus, in allen Sälen vertreten zu sein - die konsequente Umsetzung des übervollen Themas. Während des Spiels wird jedes Kleid mit einer Scheibe in Spielerfarbe belegt, so dass sich im bunten Allerlei die Regenbogenhaut in der Pracht der Farbvielfalt zu verlieren droht. Auch hier: Rokoko in Reinkultur.


Torschütze des Spiels:
1:0 Danton. 2:0 Robespierre. Beide per Kopf.


Déjà-Vu des Spiels:
Die besten Kostümfilme aller Zeiten. Jetzt auf Sat1.


Drama des Abends:
"Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen." Ein köstlicher Bienenstich ins Wespennest der aufgeheizten Volksstimmung. Das hungernde Volk hat auf Maries berühmtestes Statement dann mit einer deftigen Revolution geantwortet. Beim Gang zur Guillotine ist sie dann auch noch dem Henker versehentlich auf den Fuß getreten, woraus sich ihre letzten überlieferten Worte begründen: "Sire, ich bitte Sie um Verzeihung, ich tat es nicht mit Absicht." Genutzt die galante Höflichkeit nichts mehr.


Haken des Spiels:
Kein Haken. Nur Nadel und Faden.


Erkenntnis des Spiels:
Manchmal gelingt es einem Brettspiel einen Dienst zu erweisen, der seinen eigentlichen Wesenszweck übersteigt. Das Wort Rokoko gehörte vor Erscheinen des Spiels in unserer Galaxis neben typischen Scrabble-Streitereien wie Silhouette, Rhododendron und Karussell zu der Sorte Wörter, die einem Diktatnoten und Kreuzworträtsel verhunzen: „Rokoko? Ähhh .... du, Heinz, wie schreibt man das denn? Rockoko? Rokocko? Rockocko? Kackao?“ Mit diesem Umstand haben Matthieu Cramère und das Wenn-der-Vater-mit-dem-Sohne-Gespann Malz endgültig aufgeräumt und uns –parbleu!- ein lustvolles Spiel beschert. Danke heißt Merci.


Der Stoff aus dem Modespiele sind: