Im Schatten des Kaisers

IM SCHATTEN DES 1.FC KAISERSLAUTERN


Die Anreise:
Ein Spiel von HiG so alt wie sein thematischer Inhalt aus tiefster Deutscher Kaiserzeit. Schwer wie eine Zugbrücke ächzt das Artwork auf dem Spielplan. Der blut- und schweißgetränkte Holzdielenboden knarrt. Wind pfeift durch das Steingemäuer. Als Tourist hasst man Führungen durch solche Burgen und stellt sich das Liebesleben in den kalten Betten lieber nicht vor. Im Schatten des Kaisers ist ein visuell kantiges und charismatisches Area Control Spiel. Die Areas sind hier Kurfürstentümer. Nennen wir das mittelalterliche Politwerk ein Game of Kaiserthrones ohne Drachen, Gnome und sonstige Phantasievölker. „Hier regiert der Macht-bol-zen! Hier regiert der Macht-bol-zen! Hier regiert der Macht-bol-zen!“

Das Stadion:
Eng, klein, kompakt, hässlich. Man sieht sie vor sich: Zuschauer mit Warzen im Gesicht und verfaulten Zähnen, die in geduckten Häusern mit kleinen Fenstern wohnen, marschieren durch die engen, matschigen Gassen zum Spiel. Die Gaffer im Stehblock starren auf die bewegungslose wie geniale Schachtelgestaltung von Christof Tisch. Die Box kommt daher wie ein kaiserliches Dekret. Fehlt eigentlich nur noch das rote Siegelwachs auf der Packung. Diese pure, ungeschminkte Qualität hat das längst vergessene Spiel mit Sankt Petersburg gemeinsam, das gleichzeitig sein Schicksal werden sollte. Mehr dazu weiter unten.

Die Heimfans:
„Was rülpset und furzet Ihr nicht, ihr Ignoranzien? Hat Euch das Brettgespiele am Kaiserthrone im Schatten meiner Herrlichkeyt nicht geschmacket?“ fragt der Kaiser am Spieltisch und lässt dabei die Faust auf Deutsche Eiche krachen. Keiner am Spieltisch wagt zu widersprechen. „Ja, beym Kaiser macht keyner das Maule auf, aber hinter meynem Rücken wyrd über das Spiel gelästeret und bereits an meynem Holzthrone gesägt“ brüllt der Throninhaber hinterher. Ja so war'n, ja so war'n, ja so war'n die alten Rittersleut'.


Der Gästeblock:
Mittelalter. Ritter. Gähn!

Die Startaufstellung:
Bis zur vier machtgierige Adelsfamilien mit jeweils sieben Baronen in vier schnell alternden Altersklassen: 15, 25, 35, 45. Danach kommt schon Gevatter Hein. Das Leben hinter kalten Burgmauern ist kurz und blutig.

Das Spielfeld:
Der Deutsche Kaiserthron im Heiligen Römischen Reich. Darunter die drei Erzbistümer Trier, Mainz, Köln und weitere vier Kurfürstentümer mit Namen aus dem vergilbten Geschichtsschinken im Ledereinband mit den schweren Holztafelnamen Pfalzgraftschaft bey Rhein, Herzogtum Sachsen, Marktgrafschaft Brandenburg und Königreich Böhmen. Der vom Gauland Württemberg-Schwaben unterdrückte Badener möchte gerne das alte Großherzogtum Baden hinzufügen.

Die erste Hälfte:
Deutsche Verbandspolitik. Es geht um Mehrheiten in den sieben Kurfürstentümer, die mit Aktionskarten in blau oder rosa knallhart erkämpft wird. Drei der Kurfürstentümer sind Bistümer, die nur von zölibatären Baronen beherrscht werden dürfen. Wer über ein Kurfürstentum regiert, will seine Macht verteidigen. Hinten wird Beton angerührt. Das Kurfürstentum, das wiederum vom Gegner beherrscht wird, will man an sich reißen. Machthunger wird niemals satt. Und Machtwechsel durch Ablösung des Kurfürsten bringt Siegpunkte. Kaum zu glauben: Die Siegpunkte werden tatsächlich noch in Form von Karten verteilt. Ein verstorbenes Relikt wider der Kramerleiste. Macht heute kein Mensch mehr. Die rosa und blauen Aktionskarten entscheiden übrigens auch darüber, ob man Barone oder Töchter in die machthungrige Welt setzt. Frauen sind nutzlos im autoritären Weltbild und werden gegen einen Siegpunkt verheiratet oder wandern für Geld ins Kloster. Den Gag hat sich ein Hofnarr ausgedacht.

Die zweite Hälfte:
Wie es sich für ein skrupelloses Machtspiel gehört, will Macht immer zementiert werden. Der autokratische Beton wird langsam hart. Jetzt wird mit Mann, Ritter und Maus um die Mehrheiten gekämpft, zumal jeder Kurfürst noch einen individuellen Kurfürstenvorteil hat. Die alten Siegpunktkarten gibt es neben den Machtwechseln in den Kurfürstentümern noch für das Kaiseramt. Der Gegenkaiser ist auch eine Aktionskarte. Wer bei der anstehenden Kaiserwahl für den zukünftigen Kaiser gestimmt hat, erhält ebenfalls Altback-Siepunktkarten genauso wie für Städtegründungen sowie für die bereits erwähnte Verheiratung eigener Töchter an fremde Barone, die weibliche Mitspieler in Schockstarre versetzt. Der Ablasskauf in der Aktionsrunde bringt auch einen Siegpunkt. Im Schatten des Kaisers war bereits die Idee für Mea Culpa angelegt.

Torschütze des Spiels:
Kaiser Franz.

Déjà-Vu des Spiels:
Ein Spiel aus dem tiefen Mittelalter kann nur das Mittelalter zum Thema haben.

Drama des Abends:
Im Schatten des Kaisers war in seinem charakterlichen Anspruch seiner Zeit weit voraus. Zu weit. Dabei war das Schicksal des Spiels bereits in seiner Namenswahl angelegt. Im Schatten des Kaisers erschien 2006 im gleichen Jahr wie der strahlende Verlagsbruder Sankt Petersburg in dessen Schatten es sang- und klanglos unterging. Das Mehrheitenspiel um die Gunst des Publikums ging klar an Verlagschef Kaiser Brunnhofer. Im Schatten des Kaisers verschwand dann auch sein Autor Ralf Burkert, dessen Ludographie sich überschaubar liest: Die Magier von Pangea dürfte neben dem tollen Kaiserschmarrn noch sein bekanntestes Spiel sein. Im Schatten des Kaisers verkörpert das Schicksal des Archetyps des unterschätzten Werkes das vom Leben immer wieder gerne bedient wird. So gesehen geht es auf dem Popfriedhof der unter Wert begrabenen Kunst geselliger zu als im grellen Rampenlicht. An dieser Stelle darf Ralf Burkert auf seine Weise dem Musikkollegen Nick Drake kräftig die Hand schütteln. Im Schatten des Kaisers ist Pink Moon als Spiel ohne die unfreiwillige Zuhilfenahme von VW.

Haken des Spiels:
In der Analytischen Psychologie von Carl Gustav Jung wird der Schatten als verdrängter Persönlichkeitsanteil definiert – also das, was der Mensch an sich selbst nicht sehen und wahrhaben möchte. Keiner wollte das ungeschminkte Spiel haben, das seiner Zeit weit voraus war.

Erkenntnis des Spiels:
Hinter dem Schatten verbirgt sich die Sonne. Aber wer will schon gerne seinem eigenen Schatten begegnen, der nach Macht und Dominanz strebt und über andere herrschen will. Da braucht es schon den Mut eines Ritters. Herr Jung, bitte übernehmen Sie!


Das ist ja die Krönung: