Eine Partie Siedler von Catan gab den Anlass zu diesem Thread. Insbesondere vor dem Hintergrund der Lektüre von These: App kann Regelstudium ersetzen?! möchte ich einfach mal schildern, was alles schief gehen kann - wohlwissend, dass das gerade bei diesem Beispiel für die meisten ein uralter Hut ist.
Neulich erzählte mir eine Freundin (F), dass sie zusammen mit ihrem Mann (M) und dem 6-jährigen Sohn (S) Siedler von Catan gespielt habe und es mit Familie auch im Urlaub immer mal wieder gespielt würde. Da wurde ich glatt hellhörig. Als wir sie diese Woche besuchten, kam dann irgendwann auch von ihr der Vorschlag, eine Partie zu spielen. Gesagt, getan.
Sie stellte also die Kiste auf den Tisch und los ging der Aufbau. M erwähnte, dass eine Bekannte zu jedem Buchstabenchip wüsste, welche Zahl auf der Rückseite ist. Oh oh, ich ahnte Böses. Ich mischte also alle Hexfelder und legte sie zufällig hin. F: „Äh, die Wüste legen wir immer in die Mitte.“ [Fehler Nr. 1] - „Ok. Das ist aber so nicht vorgesehen und sorgt auch nicht gerade für flottere Spiele.“ Bei Häfen und Meeresfeldern gab’s keinen Protest. Ich fragte S und meine Tochter (T), ob sie sich vorstellen könnten, wieso die Zahlenchips auf der Rückseite Buchstaben haben und nahm sie gleichzeitig in der richtigen Reihenfolge auf. Die gewünschte Antwort kam recht flott Den Hintergrund erläuterte ich dann beim Auslegen der Chips. F: „Hm, ok. Wir haben immer erst die Häuser gesetzt und danach die Chips ausgelegt.“ [F2] - „Wie denn?“ - „Zufällig.” [F3] Ich baute weiter auf und verwies auf die beim korrekten Aufbau unmögliche Nachbarschaft von 6 und 8. Das war überzeugend genug.
Dann folgte eine kurze Regelerläuterung für T, damit sie wenigstens ungefähr verstand, was abgeht. Sie ist gerade 6 und El Dorado klappt schon, also wäre Siedler mit etwas mehr Geduld sicher auch möglich, wirklich planvolles Spielen bedürfte aber etwas Übung. Deshalb war sie meine Würfel- und Ziehhilfe und ich habe im Spiel versucht ihr weitere Details zu erklären. [Scheint geklappt zu haben. Später am Tag spielten wir bei anderen Freunden auf ihr Betreiben hin noch eine Partie, bei der sie ihr SvC-Wissen weiter ausbauen und anwenden konnte.]
F und S spielten zusammen (FS) und waren als letzte Partei mit ihren Startsiedlungen dran. Nachdem beide gebaut waren, fragte ich, ob die Reihenfolge tatsächlich wie gesetzt sein solle wegen der Rohstoffe. F: „Wieso? Wir haben uns dann immer die 6 Rohstoffe genommen, an die wir gebaut haben.“ [F4] Meiner Erläuterung wurde erst mal kein Glauben geschenkt, obwohl ich eingangs sogar auf meine langjährige Turniererfahrung hingewiesen hatte... F konsultierte lieber das Regelwerk: „Ok, da steht’s tatsächlich. Man nimmt nur die 3 Rohstoffe der zweiten Siedlung.“ Immerhin der Rest war klar, also keine familieninternen Sonderregeln, „Turnierstart“ etc.
Dann ging’s los. M warf direkt eine 7 und setzte den Räuber irgendwo in die Prärie: „Das machen wir am Anfang nicht.“ Ok, ist ja legal. Mein Einwand, dass er aber in direktem Kampf gegen FS stünde, da beide eine Straße an einen Knotenpunkt gebaut hatten und FS sogar schon ein Lehm auf der Hand habe, was er ja jetzt mit 50:50 Chance ziehen könnte, war ihm egal. Ok, muss man akzeptieren. Es ging fehlerfrei weiter, bis die erste Ereigniskarte gespielt wurde. Ein Ritter natürlich, allerdings sollte er auch in der Runde gespielt werden, in der er gekauft wurde. [F5] Also dann halt in der nächsten Runde. Nach dem Ausspielen wurde der Räuber vertrieben und diesmal sinnvoller gesetzt, aber es wurde nicht gezogen. M: „Ach, da darf man auch ziehen?“ [F6] Ok, also wurde doch gezogen. Danach wollte M die Karte weglegen, unter den Stapel der anderen Ereigniskarten. [F7] F: „Das machen wir immer so.“ - „Und wie haltet ihr für die Rittermacht nach, wer wieviele Ritter schon gespielt hat?“ - „Im Kopf. Aber offen vor einem liegen zu lassen, ist wirklich einfacher.“
Zwischenzeitlich hatte ich die FAQ auf catan.de auf’m Telefon geöffnet, weil ich wusste, dass ich sie noch brauchen werde Vor meinem nächsten Würfelwurf wollte ich einen Ritter spielen, um den Räuber zu vertreiben. F: „Darf man das?“ - „Ja. Moment... Hier, steht in den FAQ. Ach, übrigens darf man auch nur genau eine Ereigniskarte pro Runde ausspielen.“ [F8 & F9?] Etwas später im Spiel wollte M zwei Straßen bauen, um an einer meiner Siedlungen vorbei zu kommen. [F10] Es folgte eine kurze Diskussion inkl. Regelzitat und Interpretationsvorschlag seitens F. Ich war etwas irritiert, dass mir immer noch nicht alles geglaubt wurde, aber ich konnte mit passenden Argumenten überzeugen. Ich verwies auch noch darauf, dass man auf diese Weise auch eine Handelsstraße unterbrechen könne. F: „Wenn das mit der Abstandsregel passt, richtig?“ Erstaunlich, was dann doch hängen bleibt. Aber da gibt’s ja diese Graphik in der Anleitung. Genau auf diese Weise hätte ich dann gerne gewonnen, aber erstaunlicherweise tauschte zu dem Zeitpunkt keiner mehr mit mir, trotz subtiler Versuche
Fazit von F: „Ok, es hat uns ja bisher auch immer Spaß gemacht. Aber wenn man es richtig nach den Regeln spielt, ist es ja gar nicht so glückslastig. Dann ist ja schon viel Strategie dabei. Das spielen wir jetzt immer so. Beim nächsten Mal müssen wir das auf jeden Fall wiederholen. Mal sehen, ob wir dich dann schlagen können“ Bingo, das ist die richtige Einstellung
Mein Fazit: Siedler ist komplizierter (und auch komplexer), als viele denken und es gibt einige Details, die das Spiel ziemlich versauen können, wenn sie falsch gespielt werden. So ein Realitätsabgleich hat echt was für sich, weil er die Sinne für solche Problematiken mal wieder schärft, wenn man sonst hauptsächlich mit erfahrenen Spielern unterwegs ist.
Im Kontext des eingangs erwähnten Threads liegt für mich die Schlussfolgerung aus den gewonnenen Erkenntnissen auf der Hand: Egal auf welchem Wege man es versucht, man wird nie alle erreichen können und es wird immer Menschen geben, die eine Anleitung nicht zu 100 % korrekt umsetzen werden. [Selbst hier unter erfahrenen Spielern gibt’s ja immer wieder Regelfragen.] Dabei ist es mehr oder minder unerheblich, ob sie von einem Menschen, per Papier, App, Video-Tutorial oder sonstwas geliefert wird. Je nach Güte der Umsetzung und Komplexität des Inhalts wird der Grad natürlich deutlich schwanken. Also ändert das Medium auch überhaupt nichts am Ziel, möglichst vielen Empfängern möglichst viel des Regelwerks so zu vermitteln, dass sie möglichst viel Spaß mit dem jeweiligen Spiel haben. Um das zu erreichen gibt es viele Wege: Übersichtlichere Papierregelwerke, bessere Graphiken, eindeutige(re) Piktogramme, Blindtests, gute Apps und Tutorials etc. Wenn sich dabei zeigt, dass z. B. mit (interaktiven) Apps mehr Leute weniger Fehler einbauen als mit herkömmlichen Papierregeln, dann sollten die Verlage genau diesen Weg weiter beschreiten (und natürlich weiterhin gute schriftliche Anleitungen bereit halten). Die diversen Versuche der letzten Jahr(zehnt)e angefangen bei Audio-Anleitungen auf Schallplatte (Kassette, CD etc.) über Prof. Easy und Comic-Anleitungen bis hin zu Video-Tutorials und Apps für Smartphones zeigen ja, dass die Verlage sich genau dieses Knackpunktes sehr bewusst sind und nichts unversucht lassen, um die Regelhürde so niedrig wie möglich zu gestalten. Noch ist die eierlegende Wollmilchsau nicht gefunden.