Haben SdJ-Jury-Mitglieder überhaupt noch Zeit für komplexe Spiele?

  • [Mod] aus Spiel und Kennerspiel des Jahres Tipp – yze


    Können die Jurymitglieder aus Zeitgründen komplexen Spielen keine Aufmerksamkeit mehr widmen? Wollen sie das überhaupt noch?

    Das müsste man die Jurymitglieder selbst fragen. Als Ansatz taugt vielleicht Martin Kleins Bericht im SdJ-Blog:

    Ich erzähle Ihnen jetzt mal etwas Merkwürdiges: Als Mitglied der Jury „Spiel des Jahres“ habe ich nahezu das ganze Jahr über keine Zeit zum Spielen. Ja, das klingt zunächst paradox. Es ist aber dennoch wahr, zumindest wenn man „Spielen“ unter seiner geläufigen Definition als „zwanglose Betätigung zum Lustgewinn“ betrachtet. […]

    In seinen Videos und bei Spielerleben - Brett- und Kartenspiele fließt auch immer mal wieder am Rande ein, dass er gerne auch komplexere Spiele spielt.

    Zwecklos sag doch mal was dazu Letzte Aktivität 5. September 2017 – das wird wohl nix …


    Kathrin Kannst und magst du aus deiner Zeit in der Jury zu dem Thema berichten?

  • Ui, wo ich von yzemaze schon direkt angesprochen werde... :)


    Zum Thema Spielen komplexer Spiele bzw. Zeit für welche Spiele als Jury-Mitglied hier ein paar Aspekte (fragt gerne, was euch konkret interessiert, ich kann ja dann entscheiden, zu was ich in welchem Detail schreibe):


    Zunächst ist es tatsächlich so, dass man viel Zeit mit Spielen verbringt, die man eigentlich aussortieren möchte. Sei es, dass man sich nicht sicher ist, oder dass ein anderes Jury-Mitglied plötzlich über ein Spiel, das man eigentlich aussortiert hatte, begeistert berichtet und es droht, in die Vorauswahl [*] zu kommen. Also nochmal spielen, um festzustellen, ob a) man selbst das Spiel bisher unterschätzt hatte oder b) wie man die anderen davon überzeugen kann, dass das Spiel doch nicht listenwürdig sei. Ich habe das immer über die eigene Spielerfahrung gemacht.


    Ich habe also gefühlt sehr viel Zeit mit Mittelmaß verbracht bzw. verbringen müssen. Ich habe vor allem sehr viel mehr Energie darauf verwendet, mit möglichst vielen Menschen der Zielgruppe zu spielen. Also auch z.B. via Spieliothek zu Veranstaltungen zu gehen etc. Wer es wirklich ernsthaft betreibt, muss sich mit Haut und Haaren reinknien. Vollberufliche Journalisten mögen das zeitlich hinbekommen, denn sie schreiben ihre Rezis ja schon im Rahmen ihres Jobs. Wer wie ich aber nebenberuflich schreibt, muss einen dafür geeigneten Job haben. Für mich war es mit meinem Job auf Dauer nicht vereinbar. Zumal die Jury ein hohes Engagement über die reinen Spielebewertungen verlangt, was zu Spannungsfeldern führt, wenn Mitglieder nicht die zum Teil sehr ambitionierten Maßgaben erfüllen (können). Letztlich ist es eben ein Verein.


    Andererseits bin ich eher auf der komplexen Schiene unterwegs. Gefühlt habe ich durchaus weiterhin hier auch genug Zeit verbracht, was auch für die Empfehlungsliste nötig war. Nur für Exoten, also Spiele, die nach den Regeln der Jury nicht wählbar sind, blieb nullkommakeine Zeit.


    [*]: Vorauswahl, damit meine ich die internen Listen, die die Jury im Vorfeld zur Klausur in mehreren Durchläufen erstellt - auf der Klausurtagung wird dann über alle Spiele diskutiert, die mindestens ein Jury-Mitglied empfehlen möchte. Der genaue Modus wird jetzt anders sein, da es seit 2011 das Kennerspiel gibt; ich habe 2009 und 2010 mitgewählt, da gab es die Aufteilung ja noch nicht.

  • yzemaze

    Hat das Label ausgelagert hinzugefügt.
  • Nur für Exoten, also Spiele, die nach den Regeln der Jury nicht wählbar sind, blieb nullkommakeine Zeit.

    Was sind denn Exoten für die Jury?

    Im Nebensatz steht eigentlich schon, was ich meine, oder auch in MetalPirates Posting. Vielleicht passt der Begriff nicht so gut, weil ich damit zwei voneinander unabhängige Dinge verknüpft habe.


    Zum einen meine ich Spiele, die nach den Regeln der Jury nicht wählbar sind. Also solche ohne deutsche Regel oder Vertrieb, sowie solche, die in einer limitierten Auflage erschienen sind. Kann man übrigens alles auf der Jury-Homepage nachlesen (das soll kein RTFM sein, sondern die freundlich gemeinte Einladung, für mehr Details bei Interesse mal dort nachzulesen).


    Zum anderen meine eigenen Interessen. Wer unseren Blog verfolgt (ja, er liegt seit längerem auf Eis, was sich irgendwann auch wieder ändern kann), weiß, dass wir auch gerne ungewöhnlichere Spiele spielen und zum Beispiel bei dem japanischen oder anderen Klein(st)-Verlagen stöbern. Aber auch ein Brass, London oder andere Wallace Titel liegen auf unserer Wellenlänge; die Diskussion, ob das nun Exoten sind, möchte ich aber an dieser Stelle nicht führen.


    Der Begriff „Exoten“ bezieht sich also im Grunde mehr auf unsere Interessen als auf die Jury. Passt aber m.E. dennoch (im Gegensatz zu Attilas Posting #8) auf den Titel dieses Threads, wenn man in der eingehenden Frage den Asudruck „komplexe Spiele“ etwas weiter fasst in Hinsicht auf Spiele, die eben nicht bei den Hauptpreisen mitmachen.


    Edit: Etwa zeitgleich zu meinem Posting wurde der Strang, der sich mit der „Krise“ der Jury beschäftigt, ausgelagert.

    Einmal editiert, zuletzt von Kathrin ()

  • Ich erinnere mich an eine Diskussion vor 5-7 Jahren - war es hier oder im alten Spielbox-Forum? - in der Mitglieder der Jury sagten, dass El Grande zum Zeitpunkt der Diskussion (also vor 5-7 Jahren) keine Chance mehr auf den Titel SdJ hätte: Zu komplex, nicht familienübergreifend... Hat sich der Trend zum Familienmainstream weiter verfestigt?

  • [roter Pöppel vor 5-7 Jahren]

    Hat sich der Trend zum Familienmainstream weiter verfestigt?

    Ja. Allein schon durch die Ausgliederung des Kennerspiel-Titels kann man das als gegeben annehmen. (Ich sage hier ganz bewusst nicht Aufteilung in rot und anthrazit, sondern Ausgliederung. Bei den Verkaufszahlen liegen Welten zwischen beiden Preisen.)


    BTW: Ich kann mich an Berichte von Jury-Mitgliedern erinnern, dass die Jury nach der Wahl von Dominion zum SdJ viel Gegenwind abbekommen hat. Für uns hier bei Unknowns ist Dominion nichts Wildes. Aber wenn man sich mal in die Lage von Spieleanfängern versetzt, dann ist klar warum es dazu kam. Das ist eben kein Spiel, bei dem man sich abends spontan im Familienkreis entschließt, einen Spieleabend zu machen, das Spiel aus dem Schrank holt, die Regeln überfliegt, direkt loslegt und Spaß hat. Selbst unter Vielspielern hielten sich ja lange Meinungen wie "Geldstrategie ist unschlagbar" oder ähnliches. Und wenn schon regelmäßige Spieler das Spiel nicht direkt durchdringen können, wie soll das dann das Zielpublikum des Roten Pöppels schaffen?