Klafft da eine Lücke zwischen Familien- und Kennerspiel?

  • Als Spieleentwickler ist es mir erst jüngst wieder so ergangen, dass ein Prototyp mit der Begründung an mich zurückkam, „die Grundversion des Spiels sei für ein Familienspiel zu komplex und die Kennerversion [inkl. aller optionalen Spielelemente] selbst für ein Kennerspiel nicht komplex genug“.

    :fffff:

    Habt ihr als AutorIn schon ähnliche Rückmeldungen von Verlagen bekommen; und welche Erfahrungen haben die SpielerInnen dazu gemacht: Gibt es eine (un)bestimmte Art von Spielen, die sich nicht eindeutig kategorisieren lassen und/oder für die vielleicht nur noch kein passender Name gefunden wurde?

  • Warum wir Deutschen auch Alles in ein Schema pressen müssen weiß ich ehrlich gesagt auch nicht. Ob da Gründe bei sind wie bspw. "Kennerspiel des Jahres"-Nominierungen kann dir vielleicht jemand beantworten der für einen Verlag tätig ist...

    Etwas als "zu komplex" oder "nicht komplex genug" einzustufen ist dem eigenen Empfinden zu zuordnen.

    Man muss sich nur mal Bewertungen auf Amazon und Co. ansehen...

    Komplexität ergibt sich außerdem nicht allein aus den Regeln sondern hat auch oft etwas mit der Anzahl an Möglichkeiten zu tun. Ich glaube man täte gut daran, daß ganze noch mehr zu differenzieren wenn man es schon in eine Schema presst.

    Siehe Ampelsysteme oder Diagramme auf der Verpackung.


    Ich denke einfach, dass der Verlag ein bestimmtes Profil hat, dass du in dem Moment halt nicht erfüllst hast.

  • Jede Kategorisierung (von Spielen) bedeutet einen Informationsverlust, wenn man die Kategorie des Spieles alleine betrachtet, aber nicht den Kontext kennt, wer diese Kategorisierung vorgenommen hat und warum eine Einsortierung in diese Kategorie erfolgt.


    Klar kann ein Einzelner das Spiel "Decrypto" als Partyspiel kategorisieren. Aus seiner Position sicher zurecht, wenn er für sich diese ganzen Spiele als "Partyspiele" bündelt. Ein Anderer kann aber ganz andere Erwartungen an ein "Partyspiel" haben und eher an "Twister" denken und wird mit dem Spielerlebnis von "Decrypto" als Partyspiel sicherlich überrascht oder enttäuscht werden.


    Also entweder beim Verlag rückfragen, was damit gemeint ist. Oder das ist so eine Standardfloskel, die unter Autoren als Standard-Ablehngrund bekannt ist und aus Erfahrung mit der wirklichen Bedeutung dieser Aussage eingeordnet werden kann.

    Content-Nachschlag gefällig? Brettspieltag.de – Das etwas andere Boulevard-Magazin der versammelten Brettspiel-Szene

  • Ich habe bei meinem zugegebenermaßen begrenzten Wissen nicht den Eindruck, dass zwischen einem als eher komplex gelten könnenden Familienspiel und einem noch vergleichsweise simplen Kennerspiel eine allzu große Lücke klafft.

    Finde es aber interessant, dass sie eine Begründung gegeben haben. Ist man ja heutzutage bei Absagen gar nicht mehr gewohnt. Also sehen sie es wahrscheinlich tatsächlich so, denn warum sollten sie sonst eine (letztendlich immer angreifbare) Begründung liefern.

    Ich würde es also unter deren persönlicher Ansicht speichern, nicht unter "ist so".

    I wish I had a friend like me

  • Fruchtfliege Die Zuordnung in eine der Kategorien ist (zumindest in meinem konkreten Fall) sicher mitentscheidend gewesen. Wobei es m. E. – so wie die SdJ-Jury da aktuell vorgeht und auswählt – doch eher Schnittmengen zwischen den einzelnen Kategorien gibt. Sprich, dass ein Spiel da „sowohl als auch“ zugeordnet werden kann, im Gegensatz zu „hier nicht mehr und da noch nicht“.


    ravn Bzgl. dem Kontext stimme ich dir zu. Um die Absage besser beurteilen zu können, müsstest du weitere Eckdaten kennen. Da ich zum selben Spiel von verschiedenen Verlagen und unabhängig voneinander ähnlich lautende Reaktionen bekommen habe, dürftest du auch mit der Standardfloskel richtig liegen. Machen es sich „die Verlage“ damit generell ein bisschen zu leicht?


    Pikmin Zumindest irgendeine Begründung, anstatt komplett kommentarlos, ist nicht so schlecht wie eine Begründung, die erkennen lässt, dass sie das Spiel während zig-monatiger Begutachtung gar nicht gespielt haben … Diese „persönliche Ansicht“ ist eben nur sehr weit verbreitet unter den Redaktionen (s. obige Antwort), was vielleicht auch damit zusammenhängt, dass die Branche einen sehr engen Kontakt und Austausch pflegt.

  • Ich bin kein Autor, aber ich könnte mir vorstellen, was damit gemeint ist, nämlich dass weder Familienspieler noch Kennerspieler damit glücklich würden. Für die einen sind zu viele schwer verständliche Konzepte dabei und für die anderen zu viel belangloser Leerlauf.


    Meiner Meinung nach liegt ein Spiel niemals nur an einem Punkt in einem Spektum zwischen Gelegenheitsspieler und Expertenspieler. Jedes Spiel deckt einen gewissen Bereich ab. Gute Spiele sind für verschiedene Zielgruppen interessant (Beispiele: Wettlauf nach El Dorado, Inhotep, Azul), während für viele gefloppten Spiele sich dieser Flop auf dem Markt auch gut damit erklären lässt, dass sie zu sehr zwischen den Stühlen sitzen und für damit im Endeffekt für niemanden mehr geeignet sind.


    So wie oben angedeutet: der Gelegenheitsspieler wird von so Sachen wie der zwingenden Notwendigkeit von strategischer Vorausplanung, von variablen Spielerreihenfolgen, von dicken Endwertungen, etc. abgeschreckt. Der Vielspieler von Situationen, die fünf Entscheidungsoptionen bieten, von denen drei offensichtlicher Blödsinn sind. Oder von zu viel Downtime, was für Gelegenheitsspieler erstaunlicherweise selten bis nie ein Problem ist, weil die einfach irgendwas machen, ohne den Anspruch, alles perfekt lösen zu wollen. Deshalb kann man als Autor auch Spiele zusammenbauen, die dann für keinen geeignet sind.


    Aber wie oben schon gesagt: ich bin weder Autor noch Redakteur, sondern einfach nur ein normaler Spieler...

  • ls Spieleentwickler ist es mir erst jüngst wieder so ergangen, dass ein Prototyp mit der Begründung an mich zurückkam, „die Grundversion des Spiels sei für ein Familienspiel zu komplex und die Kennerversion [inkl. aller optionalen Spielelemente] selbst für ein Kennerspiel nicht komplex genug“.

    Vielleicht ist das etwas unglücklich formuliert gewesen, oder auch beim Zusammenfassen verknappt worden?

    Die reine Komplexität kann eigentlich kaum ein Hindernis sein, da finde ich eine Lücke logisch nicht erklärbar, nachdem die Bereiche ja ineinander übergehen und man auch oft trefflich diskutieren kann, in welchen Bereich ein Spiel gehört?


    Durch Komplexität (schwierige Entscheidungen) vs. Kompliziertheit (hoher Regelaufwand, viele Mechanismen,...) schon eher?

    Nachvollziehen könnte ich Aussagen wie "für ein Familienspiel zu kompliziert und die Kennerversion für ein Kennerspiel nicht komplex genug“. Also im Sinne von: Fordert mit seinen Entscheidungen den Kennerspieler nicht genug, insbesodnere für länger andauernden Spielreiz, aber ist in der Regel- bzw. Mechanismenfülle für den Familienspieler zu viel?

  • Vielen Dank für das bisherige Feedback!


    MetalPirate Eine schlüssige Erklärung wie so eine Lücke – und das „zu sehr zwischen den Stühlen sitzen“ – entstehen kann. Zudem sehr aufschlussreich, welche Attribute ein Spiel haben muss, um niemandem zu gefallen. Fall damit geklärt? Nicht ganz … Denn ich habe mit So-gut-wie-nie-, Gelegenheits- und Vielspielern getestet. Und Spielspaß war definitiv auf allen Seiten vorhanden, wenn auch manchmal die Downtime, ob der (zu vielen) Möglichkeiten als zeitweise problematisch wahrgenommen wurde (auch von mir als stillem Beobachter). Den einen könnte es gerne schneller gehen, wenn sie nicht selbst am Zug sind; den anderen – und dazu zählt ganz besonders meine Frau (als kritischste Testspielerin) – gefällt gerade das Grübeln über den bestmöglichen Ketten-Zug …


    Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen, möchte ich zumindest den grundsätzlichen Spielablauf so weit beschreiben, dass man eine vage Vorstellung von der zu vielen bzw. zu wenigen Komplexität bekommt: Ein Spieler kann aus zwei Pflichtaktionen genau eine auswählen. Die Komplexität nimmt im Verlauf des Spiels zu, da die „Spielfläche“ von einem Startfeld zu Beginn sukzessive größer wird und Sonderaktionen vor, während und nach der jeweiligen Pflichtaktion hinzukommen (können). Oft genug bleibt es aber auch nur bei der Pflichtaktion, es gibt also auch ruhigere Momente. Die Komplexität entsteht dabei nicht einfach nur durch die Fülle an Möglichkeiten, sondern insbesondere durch das Zusammenwirken von Sonderaktion(en) mit Pflichtaktion. Und jede der Aktionen greift dabei mehr oder weniger stark in den Bereich der Mitspieler ein, kann also mitunter „Folgen“ haben – im positiven wie negativen Sinn. Interaktion sollte man jedenfalls mögen, will man das Spiel genießen.


    SpaceTrucker Wenn ich davon ausgehe, dass sie es (mehrfach) gespielt haben, hat der Verlag die Absage sicherlich verknappt formuliert. Mit der „Kompliziertheit“ könntest du grundsätzlich recht haben. Wobei ich den Regelaufwand für die Grundversion als nicht zu hoch bzw. in der Kennerversion als zu niedrig ansehe. Was zu beweisen wäre …

    Einmal editiert, zuletzt von Gead ()

  • Ja, gibt es. Wurde auch schon mehrfach versucht, zu definieren. Die beiden Terme, die ich dafür bisher am meisten gehört und gelesen habe, sind "next step-Games" und "after Gateway-Games".


    Prominente Beispiele sind zum Beispiel das Grundspiel von Kingsburg, das Grundspiel von Alien Frontiers, das Grundspiel von Small World, das Grundspiel von Stockpile, Charterstone, Quadropolis, Royals, Capital, Joraku oder auch Zweier wie Star Realms oder Summoner Wars.


    Tl;dr: Es gibt einen Markt dafür. Du musst nur den richtigen Verlag finden. Lass' dich nicht entmutigen.

    Lg :)

  • Ich halte die Aussage für falsch. Das klingt für mich so, als würde der Verlag nicht zwischen Kennerspiel und Expertenspiel unterscheiden und hätte statt Kennerspiel eigentlich Expertenspiel gemeint.


    Richtig ist: Es gibt eine Lücke zwischen Familienspiel und Expertenspiel. Diese Lücke schließt das Kennerspiel.

  • Oder das ist so eine Standardfloskel, die unter Autoren als Standard-Ablehngrund bekannt ist und aus Erfahrung mit der wirklichen Bedeutung dieser Aussage eingeordnet werden kann.

    Das kann ich so aus eigener Erfahrung bestätigen. Es gibt noch viele andere solcher Floskeln...


    Ciao

    Stefan