Analytische Turniervorbereitungen enträtseln ansonsten gute Brettspiele und vernichten den Spielspaß dadurch?

  • [Puerto Rico ist ein ...] typisches Beispiel von einem Spiel, das durch die Deutsche Brettspielmeisterschaft verbrannt wurde. Leider. Und ein Grund für mich mehr, solche Turniere abzulehnen, die dazu anregen, Spielmechaniken analytisch zu enträtseln. Wer da links von dem sozialsten Mitspieler sitzt, der gewinnt in solchen Runden.

    Ich habe null-komma-null Interesse an turniermäßigem Spielen, weil bei mir der Spielspaß, idealerweise für alle am Tisch, die klare Nummer eins ist, nicht das Gewinnen. Trotzdem würde ich deinem Satz nicht zustimmen. Ein Spiel, das in der ersten Liga der Spiele mitspielen will, muss auch analytisches Enträtseln und turniermäßiges Spielen aushalten können. Notfalls mit Varianten/Modifikationen wie "Auktionen in Siegpunkten für Plätze in der Startreihenfolge", völlig variabler Spielerreihenfolge statt "reihum im Uhrzeigersinn" oder ähnlichem. Wenn in einem Spiel die Erfolgschancen von der Sitzposition relativ zu den Mitspielern abhängen, ist das immer ein Minuspunkt.


    Back on topic: ja, dieses mögliche Problem des unfreiwilligen Vorlagengebens hat auch Root. Sogar in radikal verstärkter Form, weil nicht nur durch den rechten Nachbarn, sondern im Prinzip durch alle. Wenn auch nur ein Mitspieler nicht weiß, dass auch eine noch völlig harmlos wirkende Woodland Alliance radikal eingehegt werden und runtergeprügelt werden muss, sobald diese irgendwo Fuß zu fassen versucht, dann gewinnt diese. Völlig instabiles Design. Ich habe Root verkauft. Für meinen Geschmack ist das ein Musterbeispiel der maßlos überschätzten Kickstarter-Spiele.

    Obige Diskussion ist aus dem Root-Forenthread entstanden, würde da aber wohl untergehen, deshalb habe ich da mal eine neue Diskussion eröffnet:


    Wie seht Ihr das? Habt Ihr es auch schon selbst erlebt, dass vorab als gut empfundene Brettspiele ihre Faszination verlieren, wenn die tiefgreifend analytisch auseinander genommen worden sind, um deren Spielmechaniken zu enträtseln, um auf dieser Grundlage einfache Handlungsanweisungen zu entwickeln, die den eigenen Spielsieg wahrscheinlicher machen sollen?


    Da in meinem Mitspieler-Umfeld öfters an diversen Turnieren teilgenommen wird, sind solche Spiele nach den vorangegangenen Trainingsphasen oftmals spielerisch verbrannt oder besser gesagt ausgebrannt und es macht kaum einen spielerischen Sinn, die nochmals auf den Tisch zu bringen. Denn die besten Siegstrategien sind allgemein bekannt und das Spiel seinem Zauber beraubt, es selbst noch spielerisch zu erkunden in seinen Möglichkeiten.


    Möchte man auf Sieg spielen, müsste man schon zwangsläufig diverse Spielweisen meiden und andere bevorzugen und dadurch kann sich die Spielcharakteristik wie bei Puerto Rico enorm wandeln - konkret ins Destruktive, um ja keinerlei Vorlagen zu bieten und darauf zu hoffen, dass irgendjemand einem selbst eine Vorlage bietet. So eine Spielweise ist wohl die beste Aussicht auf Erfolg, aber sorgt allgemein für eine miese Stimmung am Tisch - zumindest von mir so empfunden. Konfrontativ immer gerne, aber wenn ich komplett destruktiv spielen muss, um meine Erfolgschancen zu maximieren, weil man bei Puerto Rico eben mehr Mitspieleraktionen folgt als im Vergleich aktiv selbst aussucht, dann hat mir diese Spielart in ihrer extremen Weise den eigentlichen Spielspaß vernichtet.


    Früher als ich Puerto Rico noch konstruktiver in der Denke "was nützt mir" und nicht "was schadet den meisten meiner Mitspieler" gespielt habe, hat es mir wesentlich besser gefallen. Nur wenn man es so konstruktiv spielt und auf diese konsequent destruktive Spielweise eines anderen Mitspielers trifft, wird man selbst ungewollt zum Vorlagengeber und Königsmacher. Schade.

    Content-Nachschlag gefällig? Brettspieltag.de – Das etwas andere Boulevard-Magazin der versammelten Brettspiel-Szene

  • Ich kann da die Haltung von MetalPirate nicht nachvollziehen.

    Ich erinnere mich noch an #7Wonders - da ist doch fast jede Spielrunde in die "Falle" getappt, dass die Grünen Karten mit dem Bonus unterschätzt wurden? Für mich gehört sowas zur Lernkurve dazu... Die Woodland Alliance wird genau einmal unterschätzt...

  • Ich habe keine Spieler mit Tuniererfahrung und selber auch keine (und kein Interesse daran). Da ich aber mit wechselnden Spielern spiele, habe ich eher das Problem unterschiedlicher Erfahrungsgrade, was ich gerade sehr deutlich bei #BrassBirmingham merke (was für ein geniales Spiel und ich kratze erst an der Oberfläche) oder bspw. auch #TerraformingMars – aber das hat weniger was mit Tunieren zu tun.


    Aber ich hüte mich bspw. davor mir für #Scythe irgendwelche optimalen Wege anzuschauen oder im Vornherein bereits zu enträtseln. Ich glaube das Runterspielen fester Strategien würde mir keinen Spaß machen.

  • Ja, ich kenne das auf jeden Fall auch. Für mich ist da nicht einmal ein tiefgründige Analyse oder Turnierspiel notwendig. Das Aufzeigen einer übermächtigen Strategie kann da bei mir gelegentlich schon den gleichen Effekt haben. Ist leider ein kleines Übel das z.B. mit diesem großartigen Forum kommt.


    Ein Beispiel, wo es bei mir zugeschlagen hat: Dice Settlers / Würfelsiedler

    Kein Überspiel, viele hier fanden es, glaube ich, sogar recht schwach, aber uns hat es in den ersten 3 Partien durchaus Spaß gemacht. Dann habe ich hier im Forum über eine übermächtige Strategie gelesen (und diese Tendenz in unseren ersten Spielen auch bestätigt gesehen) und irgendwie die komplette Lust an dem Spiel verloren.


    Eigentlich schade, denn selbst wenn die Beobachtung zu der Strategie stimmt: da wir bei solchen Spielen eher Bauchspieler sind, wäre es uns wahrscheinlich gar nicht als problematisch aufgefallen. Aber nachdem ich davon gelesen hatte, war der Reiz des Spiels irgendwie weg. Ist vielleicht auch nicht ganz rational zu erklären.

  • Wie seht Ihr das? Habt Ihr es auch schon selbst erlebt, dass vorab als gut empfundene Brettspiele ihre Faszination verlieren, wenn die tiefgreifend analytisch auseinander genommen worden sind, um deren Spielmechaniken zu enträtseln, um auf dieser Grundlage einfache Handlungsanweisungen zu entwickeln, die den eigenen Spielsieg wahrscheinlicher machen sollen?

    Ja, aber das waren dann meist nicht die besten Spiele.

    Beispiele: Helios, Die Paläste von Carrara oder Railroad Revolution.

    Carrara wollte ich eigentlich mögen, aber leider zeigte sich in der Analyse, dass es für jede Position eine "beste" Spielweise gab und statistisch eine Position am häufigsten gewann, eine andere wurde am häufigsten zweiter usw.

    Helios war auch schnell durchschaut und dann eigentlich langweilig.

    Railroad Revolution halte ich immer noch für ein tolles Spiel, aber die bekannte Strategie mit der Telegraphenleiste macht es halt kaputt. Ich werde mir demnächst mal die Erweiterung genauer ansehen.


    Daneben gab es aber auch viele Turnierspiele, wo sich einfach nicht DIE Strategie gezeigt hat und die immer wieder eine Herausforderung waren. Dies sind insbesondere Spiele mit hoher Variabilität im Spielaufbau.


    Da in meinem Mitspieler-Umfeld öfters an diversen Turnieren teilgenommen wird, sind solche Spiele nach den vorangegangenen Trainingsphasen oftmals spielerisch verbrannt oder besser gesagt ausgebrannt und es macht kaum einen spielerischen Sinn, die nochmals auf den Tisch zu bringen. Denn die besten Siegstrategien sind allgemein bekannt und das Spiel seinem Zauber beraubt, es selbst noch spielerisch zu erkunden in seinen Möglichkeiten.

    Das ist leider so. Meiner Erfahrung nach aber eher aus dem Grund, dass man diese Spiele 50x gespielt hat und darauf einfach keine Lust mehr hat.

    Gute Spiele kann man dann nach einiger Zeit mit etwas Abstand auch mal wieder spielen. Allerdings wird es dennoch oft so sein, dass andere Leute dann wenig Chancen gegen die früheren Turnierspieler haben.


    Dein Beispiel Puerto Rico kann ich nicht bewerten, da ich es bisher höchstens 10x gespielt habe (wenn überhaupt)

  • Mir ist es ein Mal mit Dominion so ergangen. Irgendwann wurde ich auf das Spiel aufmerksam und habe mir dann auch einen PC-Simulator runtergeladen.

    Nachdem ich es dann gefühlt mindestens 50 Mal gespielt hatte habe ich es gekauft und gegen meine Frau gespielt.

    Die war aber überhaupt nicht begeistert davon, dass ich schon Strategien kannte und ihr dann nahe legen wollte, dass sich jede Strategie an der Gold-Taktik messen lassen muss.

    Kurzum: Es wird nicht mehr gespielt bei uns und steht auf der Abschussliste.


    Seitdem hüte ich mich auch grundsätzlich davor, Strategien für "normale" Brettspiele im Internet durchzulesen und zu studieren. Dafür bin ich am Ende des Tages doch zu sehr Spaß-Spieler und zu wenig Sieger-Typ.


    Und ich würde auch "einfache" Spielerfahrung nicht mit einer analytischen Vor- und Nachbereitung gleichsetzen. Es macht einen Unterschied ob ich einfach ein Spiel spiele und im Nachhinein merke, dass die Strategie nicht zum Ziel geführt hat oder ob ich mir vorher schon genau die Kartenwerte und Eigenschaften der Spielmaterialien anschaue und dann abwäge wie die Verhältnisse sind und was ich deswegen machen sollte um zu gewinnen.

  • Wie seht Ihr das? Habt Ihr es auch schon selbst erlebt, dass vorab als gut empfundene Brettspiele ihre Faszination verlieren, wenn die tiefgreifend analytisch auseinander genommen worden sind, um deren Spielmechaniken zu enträtseln, um auf dieser Grundlage einfache Handlungsanweisungen zu entwickeln, die den eigenen Spielsieg wahrscheinlicher machen sollen?

    Ja, doch irgendwann mittendrin schlägt der "Faktor Mensch" zu. Soll heißen, das wir nicht immer logisch/analytisch vorgehen, sondern als instinktgesteuertes Lebewesen agieren. In meiner "Hochphase" mit Outpost (mein mit Abstand am meisten gespieltes Spiel) konnte ich nach 2, spätestens 3 Runden zuverlässig voraussagen wer gewinnt - wenn dann logisch konsequent weitergespielt wird.

    Allerdings verschwindet dieses analysieren von ganz allein, je mehr variable Dinge im Spiel sind. Man kann dann mit gewachsener Erfahrung zwar besser auf "Schwankungen" reagieren, aber eine todsichere Strategie daraus abzuleiten wird eher nix. Bestes aktuelles Beispiel dafür ist #TerraformingMars, in jeder Partie muss man anders agieren - mal mehr, mal weniger. Wer hier am flexibelsten reagiert, wird zumeist die Nase vorn haben. Zumindest solange, bis einen die Neandertalgene überwältigen...:)

    Bitte senden Sie mir Ihre E-Mail doppelt, ich brauche eine fürs Archiv :/

  • Ich bin auch eher so der Spiele-Entdecker und verzichte auf vorheriges Strategiethreads-Lesen.


    Sicher stellt mich das gegen einen erfahreneren Spieler in Nachteil, aber es gehört für mich zu Spiel dazu. Ich kann auch das Spiel verlieren und habe ja trotzdem gewonnen.


    Nur einmal hat es mich extrem genervt; weil ein Freund krankheitsbedingt ausfiel, habe ich seinen Platz bei einem Catan-Turnier (4 Spieler + Grundspiel, mehr gab es damals noch nicht) eingenommen. Ich kannte die Regel und hatte es ein paar Mal in der Familie gespielt. Zwei Spieler zogen ohne Ende die Entwicklungskarten und bauten Straßen ohne Ende. Ständig stand der Räuber bei mir und plötzlich war eine Siedlung von allem abgeschnitten. Ich glaube, dass es dem 4. Spieler ähnlich ging. Das Ende vom Lied: die beiden Spieler kamen eine Runde weiter, mein Exemplar verschwand für Jahre im Schrank und meine Familie wunderte sich, dass sich die im guten Glauben geschenkten Seefahrer- und Städte & Ritter-Erweiterungen ungespielt dazu gesellten.


    Sicherlich gehört es dazu, dass man sich mit den Möglichkeiten beschäftigt, aber dabei darf der Spielspaß doch nicht leiden.

    Mit Gewaltlosigkeit hat noch nie jemand etwas erreicht. (Montgomery Burns)

    Ich habe zwar keine Lösung, aber ich bewundere das Problem. Präsident der EZB. (Das Känguru)


    Zum Spieleblog


  • Für mich sind das einfach völlig unterschiedliche Arten, Spiele zu spielen.


    Im Tabletop-Bereich gibt es auch die "bösen Turnierspieler", die mit optimierten Armeezusammenstellungen spielen. Deren Spielweise sowie deren Armeelisten werden vom geneigten Gelegenheitsspieler auch gerne als "macht das Spiel kaputt", "nimmt den Spass weg", etc. betitelt. Das ist für mich aber weniger der Tatsache geschuldet, dass sie tatsächlich das Spiel kaputtmachen würden als dem Umstand, dass der Durchschnittsspieler weder das gleiche Spielverständnis noch die gleiche Spielerfahrung aufweisen kann und deshalb einfach gnadenlos verliert.


    Sprich, ich sehe da das Problem eher in den grundverschiedenen Erwartenshaltungen an das Spiel.Der Eine zieht Freude aus der Herausforderung auf höchstem Niveau zu spielen, hat viel Zeit in das Spiel investiert, hat es bis ins Detail durchschaut spielt auf einem Niveau, wo jeder Fehler vernichtend sein kann. Der Andere hat Freude am Entdecken und probiert mal Dies, mal Jenes, vielleicht auch mal was nur bedingt Sinnvolles, und hat gar nicht das Interesse, sich so vertieft mit dem Spiel auseinanderzusetzen, um ernsthaft mitspielen zu können.


    Beim Spiel würde ich die "Schuld" nur suchen, wenn es auf höchstem Niveau tatsächlich nur noch vorgegebene Lösungen gibt.

    In so einem Fall wäre das Spiel imho schlichtweg nicht als Turnierspiel geeignet, weil es dann beiden Seiten die Option auf Spass nimmt. Der Turnierspieler am Tisch kann sich nur entscheiden zwischen "gut spielen und alle platt machen" oder "bewusst immer suboptimal spielen", und der Gelegenheitsspieler hat nur die Wahl zwischen "vorgeführt werden" oder "hat mich gewinnen lassen".


    Vielleicht ist das aber tatsächlich auch ein spezifisches Problem von Brettspielen?

    Bei Tabletop-System oder bei CoSims kann der stärkere Spieler ja problemlos auf eine andere Zusammenstellung seiner Streitmacht zurückgreifen und wird allein dadurch schon vor eine neue Herausforderung gestellt.

    Wenn dir egal ist, wo du bist, kannst du dich auch nicht verlaufen.

  • Gute Beiträge hier!


    Für mich das wie beim Pokern: geht es um Geld oder einen Sieg, dann spiele ich ein Turnier mit Fremden, die mir egal sind. Geht es um Minieinsätze und den Spaß, dann spiele ich mit Freunden. Bei ersterem spiele ich nach "Lehrbuch" und strategisch, bei letzterem calle ich auch mal mit Quatsch, um einfach zu spielen. Gönne meinem Mitspieler dann aber auch den Triumph, dass er mit seiner (Murkel-) Hand gewonnen hat. Es ist halt der Spaß an der Freude für die ich dann einfach mal 15€ investiert habe.


    Daher ist meine Teilnahme an Pokerrunden und Turnieren in der Öffentlichkeit massiv zurückgegangen. Es ist mir einfach nicht mehr wichtig.

    Mit Gewaltlosigkeit hat noch nie jemand etwas erreicht. (Montgomery Burns)

    Ich habe zwar keine Lösung, aber ich bewundere das Problem. Präsident der EZB. (Das Känguru)


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  • Habt Ihr es auch schon selbst erlebt, dass vorab als gut empfundene Brettspiele ihre Faszination verlieren, wenn die tiefgreifend analytisch auseinander genommen worden sind [...]?

    Ja, aber das waren dann meist nicht die besten Spiele.

    Genau meine These: Alle Spiele, die eine solche Analyse nicht überstehen, sind leider nur zweite Wahl. Andere Spiele wie Terra Mystica / Gaia Project oder Dominion oder Great Western Trail "überleben" unbeschadet die Analyse durch eine aktive Turnierszene (ggf. mit leichten Anpassung für Turnierspieler). Die Spiele sind damit in gewisser Weise die besseren Spiele.


    Das "Turnier" sollte man dabei nicht zu hoch hängen. Dass man mehr oder weniger viel über ein Spiel und mögliche Strategien nachdenkt, ist völlig normal. Macht jeder, wenn auch normalerweise nicht so intensiv wie die Turnierspieler. Von daher ist das "Spiele müssen den Versuch des Enträtselns unbeschadet überstehen" auch für Nicht-Turnierspieler wichtig.

  • Wie seht Ihr das? Habt Ihr es auch schon selbst erlebt, dass vorab als gut empfundene Brettspiele ihre Faszination verlieren, wenn die tiefgreifend analytisch auseinander genommen worden sind, um deren Spielmechaniken zu enträtseln, um auf dieser Grundlage einfache Handlungsanweisungen zu entwickeln, die den eigenen Spielsieg wahrscheinlicher machen sollen?

    Ich möchte Spiele erkunden und erleben. Dazu gehört auch sich Strategien zu überlegen, diese dann zu testen und ggf. zu verfeinern. Dazu kann auch gehören, dass man sich Strategieanregungen holt und versucht diese zu spielen. Ich glaube aber, dass gerade die letzten beiden Halbsätze das Problem sind. Wenn ein Spiel auf eine einfache Handlungsweise reduziert werden kann, die dann auch noch vermehrt zum Sieg führt, ist das Spiel wohl eher "durch" für mich.

    Klar gehört für mich der Wunsch nach einem Sieg auf jeden Fall zum Erlebnis Brettspiel. Wenn dies einer oder mehrere am Spieltisch nicht mitbringen, dann kann dies imo das Erlebnis zum Kippen bringen, ebenso wie das unterschiedliche Kenntnisniveau bei Root, wie oben schon angeführt.

    Im Tabletop-Bereich gibt es auch die "bösen Turnierspieler", die mit optimierten Armeezusammenstellungen spielen. Deren Spielweise sowie deren Armeelisten werden vom geneigten Gelegenheitsspieler auch gerne als "macht das Spiel kaputt", "nimmt den Spass weg", etc. betitelt.

    Ich habe solche Listen auch gespielt, aber nur wenn ich wusste, dass mir auch so etwas gegenübersteht. Denn genau das runterspielen dieser Liste oder einer "Siegstrategie" nimmt imo viel der Faszination Brettspiel weg. Deswegen mag ich aktuell Prehistory und auch Crystal Palace so. Strategie ist wichtig, aber taktische Flexibilität ist es auch und durch die Interaktion ist ein einfaches "runterspielen" nicht möglich. Auf der anderen Seite bleibt bei solchen Spielen natürlich auch der Erfahrungsvorteil vakant. Dieses Dilemma lässt sich aber imo nicht lösen. Entweder gibt es früher oder später eine Siegstrategie oder erfahrene Spieler haben einen signifikanten Vorteil oder diese Aspekte "müssen" mit einem höheren Glücksanteil ausgeglichen werden. Und da bin ich beim Piraten:

    Zitat von MetalPirate

    Ein Spiel, das in der ersten Liga der Spiele mitspielen will, muss auch analytisches Enträtseln und turniermäßiges Spielen aushalten können. Notfalls mit Varianten/Modifikationen wie "Auktionen in Siegpunkten für Plätze in der Startreihenfolge", völlig variabler Spielerreihenfolge statt "reihum im Uhrzeigersinn" oder ähnlichem

    Je länger ein Spiel die drei oben genannten "Nachteile" (im Sinne eines Strategiespiels) in der Waage halten kann und man noch Neues entdeckt, desto besser ist es. Oder im zweiten Fall (Erfahrung) spiele ich nur noch in einer gleichwertigen Gruppe. Bei den TableTops waren das dann oft sehr epische Schlachten.

    Ach ja? Definier mir "normal"!

  • Wir haben in unseren Runden einige RegVor/Brettspielmeisterschaft-Spieler (sogar mal ein Jahr gewonnen). Die dafür ausgesuchten Spiele braucht man mit diesen Leuten dann leider nicht mehr spielen, das sagen sie auch selber. Das hat auch nix mit der Qualität der Spiele zu tun, ein derart intensives Training auf ein Spiel erzeugt immer kaum aufholbaren Erfahrungsvorsprung. Ist dann halt so. Für mich persönlich ist es nicht so schlimm, da ich die ausgewählten Spiele meistens eh niemals freiwillig vorschlagen würden.

  • Wir haben in unseren Runden einige RegVor/Brettspielmeisterschaft-Spieler (sogar mal ein Jahr gewonnen). Die dafür ausgesuchten Spiele braucht man mit diesen Leuten dann leider nicht mehr spielen, das sagen sie auch selber.

    Dass man ohne Training bei solchen Spielen gegen trainierte Spieler null Gewinnchancen hat, glaube ich sofort, aber ist das denn automatisch gleichbedeutend mit null Spielspaß? Nach meiner Idealvorstellung macht ein Spiel auch unabhängig vom Gewinnen Spaß.

  • Ja, ist gleichbedeutend. Macht weder den Turnierspielern noch den anderen wirklich Spaß. Wir lassen sowas aus guten Gründen seit zehn Jahren sein. Die ausgesuchten Spiele sind dann einfach für diese Runden "verbrannt".

  • Hallo,

    ich habe früher im Ort das Jahresend-Catanturnier ausgerichtet - so gemütlich mit Plätzchen-Reste-Essen und Glühwein-Austrinken. Sollte eigentlich eine nette Veranstaltung werden. Das Turnier lief auch erst im Rahmen der Catan-Rangliste für die DM mit. Das wurde aber mit der Zeit problematisch. Die Veranstaltung zog "Punkte-Reisende" an. Die kamen, um etwas für DM-Quali zu machen - und fuhren mit den von mir zur Verfügung gestellten schönen Turnier-Gewinnen. Die brachten noch nicht mal Spaß mit. Die Stammgäste gingen oft leer aus.
    Das führte mit der Zeit bei den Stammbesuchern zu Unmut. Also habe ich das Turnier nicht mehr bei der Rangliste gemeldet. Darüber waren ein paar Leute recht sauer. Aber die kamen auch nicht mehr und die Veranstaltung wurde wieder lustige - und weniger verbissen.

    Die Stimmung auf solchen Veranstaltungen ist also weniger am Turnier selbst auszumachen. Sondern eher an der Zielsetzung des Turniers. Mit der Zeit habe ich auch nur noch kleinere Preise zum Gewinn angeboten, um noch mehr Ehrgeiz aus dem Spieletag zu nehmen.


    Liebe Grüße
    Nils

  • Wir haben in unseren Runden einige RegVor/Brettspielmeisterschaft-Spieler (sogar mal ein Jahr gewonnen). Die dafür ausgesuchten Spiele braucht man mit diesen Leuten dann leider nicht mehr spielen, das sagen sie auch selber.

    Dass man ohne Training bei solchen Spielen gegen trainierte Spieler null Gewinnchancen hat, glaube ich sofort, aber ist das denn automatisch gleichbedeutend mit null Spielspaß? Nach meiner Idealvorstellung macht ein Spiel auch unabhängig vom Gewinnen Spaß.

    So ist es. Ich hab in den 90ern auch DMM mitgespielt. Klar haben wir trainiert, andere im Kreis spielen heute noch erfolgreich mit. Aus meiner Erfahrung kann ich nur berichten, dass die Spiele im Turnier mit dem Erfahrungshorizont der Mitspieler auf einem anderen Level stattfanden, so dass man damit sehr viel Spaß hatte - oft eben anders, als das sonst mit gleichem Spiel in Gelegenheitsspielerrunde der Fall war. Der Spaß war auch dann nicht weg, nur weil man mit einer (selbst nicht erkannten) Strategie vorgeführt wurde. Spaß raubend waren wirklich nur die (gottseidank selten auftretenden) Verbissenen am Tisch, denen der Ehrgeiz aus den Poren spross. Nicht um falsch verstanden zu werden, mit Leuten ohne klaren Siegeswillen wollte ich auch nicht spielen, verbissen meint hier wirklich die Neigung zu seelischen und körperlichen Krämpfen ^^ War aber doch eher selten, die meisten Teilnehmer dort eint der Spaß am (strategisch gehobenen) Spiel. Ich mach nur deshalb nicht mehr mit, weil ich meine wenige Spielzeit gerne selbst gewählten Titeln nach Lust und Laune zuwenden möchte. Hab auch in den 2000ern nur dann nochmal mitgespielt, wenn mir alle Spiele der Auswahl gefallen wollten - nur hatte man dann das Problem, überhaupt wieder andere zur Teilnahme zu motivieren bzw. in einem bestehenden Team mitspielen zu können.

  • Kurze Zwischenfrage: Was kann man denn üblicherweise bei einem Turnier oder einer DM gewinnen?

    Reicht nicht zum Leben ;) Urkunden (Papier), für die vorderen Plätze vielleicht ein Pokal (Blech) und natürlich das eine oder andere für den Zweck der Siegerehrung bestimmte Spiel. So hab ich das in Erinnerung, dürfte sich nicht groß geändert haben. Für Interessierte: DMMiB Deutsche Mannschaftsmeisterschaft im Brettspiel – Deutsche Mannschaftsmeisterschaft im Brettspiel

  • Nach meiner Idealvorstellung macht ein Spiel auch unabhängig vom Gewinnen Spaß.

    Das hängt davon ab, ob ich schon vor der Partie weiß, dass ich keine Chance aufs Gewinnen habe oder nicht.


    Im Normalfall geht man ja davon aus, dass die Chancen aller Spieler ungefähr gleich hoch sind, zu gewinnen. In solchen Spielen macht das Spiel dann unabhängig vom Gewinnen Spaß. Aber wenn ich schon vor der Partie weiß, dass jemand sicher gewinnen wird, dann macht das auch von vornherein weniger Spaß.

  • Nach meiner Idealvorstellung macht ein Spiel auch unabhängig vom Gewinnen Spaß.

    Das hängt davon ab, ob ich schon vor der Partie weiß, dass ich keine Chance aufs Gewinnen habe oder nicht.


    Im Normalfall geht man ja davon aus, dass die Chancen aller Spieler ungefähr gleich hoch sind, zu gewinnen. In solchen Spielen macht das Spiel dann unabhängig vom Gewinnen Spaß. Aber wenn ich schon vor der Partie weiß, dass jemand sicher gewinnen wird, dann macht das auch von vornherein weniger Spaß.

    Warum sollte mir eine Partie Schach gegen einen Großmeister keinen Spaß machen? Ist offenbar Einstellungssache.

  • Wie seht Ihr das? Habt Ihr es auch schon selbst erlebt, dass vorab als gut empfundene Brettspiele ihre Faszination verlieren, wenn die tiefgreifend analytisch auseinander genommen worden sind, um deren Spielmechaniken zu enträtseln, um auf dieser Grundlage einfache Handlungsanweisungen zu entwickeln, die den eigenen Spielsieg wahrscheinlicher machen sollen?

    Es gibt hoffentlich bei jedem Spieler in jedem Spiel eine Lernkurve. Was mich am Spielen vor allem fasziniert ist das Erleben dieser Lernkurve gemeinsam mit meinen Mitspielern. Der eine entwickelt einen Kniff, der andere findet einen Gegenkniff - wir werden gemeinsam bessere Spieler. Und natürlich kristalisieren sich dabei auch einfache "Handlungsanweisungen" heraus, die der erfahrende Spieler dann schlichtweg beherzigen wird. Natürlich schützt man sich gegen Überschwemmungen, wenn man in Civilization das Nil-Delta besiedelt. Natürlich überlegt man sich bei 1830 gut, ob man mehr als 10% einer fremden Gesellschaft mit in das Portfolio nimmt.


    Gute Spiele zeichnen sich imho dadurch aus dass sie sowohl für den Dilettanten als auch für den Experten gut skalieren und eine lange Lernkurve zulassen. Solange das Spiel nicht mit 5 einfachen "Handlungsnweisungen" komplett zu meistern ist und ich auf jedem Niveau knifflige Entscheidungen zu treffen habe. Bei den wirklich guten Spielen lernt man nie aus - oder gibt es einen perfekten 1830-Spieler?


    Da in meinem Mitspieler-Umfeld öfters an diversen Turnieren teilgenommen wird, sind solche Spiele nach den vorangegangenen Trainingsphasen oftmals spielerisch verbrannt oder besser gesagt ausgebrannt und es macht kaum einen spielerischen Sinn, die nochmals auf den Tisch zu bringen.

    Was Spiele nicht zulassen müssen sind spannende Duelle Dilettant gegen Experte. Das ginge ja auch nur mit entweder einem hohen Glücksanteil oder einer Art Handicap.


    Turnier-Teilnehmer werden durch das intensive Spielen vom Dilettanten zum Experten. Da kann der Mitspieler mit dem man vor kurzem noch die ersten Kniffe erforscht hat schon mal zum unbesiegbaren Riesen mutieren. Das wäre aber genauso wenn er das Spiel in der Zwischenzeit auf diversen Spieletreffs gespielt hätte.


    Früher als ich Puerto Rico noch konstruktiver in der Denke "was nützt mir" und nicht "was schadet den meisten meiner Mitspieler" gespielt habe, hat es mir wesentlich besser gefallen. Nur wenn man es so konstruktiv spielt und auf diese konsequent destruktive Spielweise eines anderen Mitspielers trifft, wird man selbst ungewollt zum Vorlagengeber und Königsmacher. Schade.

    Es kann sein dass das Spiel sich ab einem gewissen Level seinen Level hin zum Destruktiven wandelt. Wenn alle konstruktiven Teile ausgelotet sind dann beobachten wir mehr als zuvor den Gegner und machen ihm die Wege kaputt.


    Zum Glück bin ich bei Puerto Rico noch nicht so weit :)

    Gruß aus dem Münsterland
    Herbert

    ______________________________

    I'm old enough to know what's wise
    and young enough not to choose it

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  • Im Normalfall geht man ja davon aus, dass die Chancen aller Spieler ungefähr gleich hoch sind, zu gewinnen.

    Das entspricht nicht meiner Erfahrung. In den meisten festen Spielerunden dürfte es Spieler geben, die öfter gewinnen, und solche, die deutlich seltener gewinnen. Wenn letzteren das Spielen irgendwann keinen Spaß mehr machen würde, würden diese Spielerunden nicht mehr lange überleben.

  • Warum sollte mir eine Partie Schach gegen einen Großmeister keinen Spaß machen? Ist offenbar Einstellungssache.

    Möglich. Für uns funktioniert es nicht. Mal abgesehen davon, dass die Turnierspieler nach der RegVor bzw. Brettspielmeisterschaft auch oftmals selbst mit dem Titel durch sind und keine Lust mehr drauf haben. Dann suchen wir uns etwas anderes und alle können Spaß haben, gemeinsam etwas zu entdecken.

  • In den meisten festen Spielerunden dürfte es Spieler geben, die öfter gewinnen, und solche, die deutlich seltener gewinnen.

    Klar. Deshalb schrieb ich "ungefähr gleich hoch", natürlich gibt es Unterschiede. Es ging mir mehr um folgenden Aspekt: Wenn ich ein Spiel wie Agricola oder Mombasa (oder ein beliebiges anderes Strategiespiel) zu viert spiele und meine Siegwahrscheinlichkeit zumindest bei 10-20% sehe, dann habe ich ganz normalen Spielspaß, auch wenn ich nicht gewinne. Wenn ich aber weiß, dass einer meiner Gegner dieses Spiel analytisch für ein Turnier auseinandergenommen hat und meine Siegwahrscheinlichkeit deshalb nur bei 0-1% liegt, dann macht mir das weniger Spaß.

    Warum sollte mir eine Partie Schach gegen einen Großmeister keinen Spaß machen?

    Das ist aus meiner Sicht noch mal etwas ganz anderes, so wie Äpfel und Birnen.


    Unabhängig davon: Natürlich kann DIR das Spaß machen. Ich schrieb aber oben von MIR. ;)

    André Zottmann / Thygra Spiele - u. a. viel für Pegasus Spiele tätig
    Ich gebe hier generell immer meine eigene, ganz persönliche Meinung von mir.

    Einmal editiert, zuletzt von Thygra ()

  • Das hängt davon ab, ob ich schon vor der Partie weiß, dass ich keine Chance aufs Gewinnen habe oder nicht.


    Im Normalfall geht man ja davon aus, dass die Chancen aller Spieler ungefähr gleich hoch sind, zu gewinnen. In solchen Spielen macht das Spiel dann unabhängig vom Gewinnen Spaß. Aber wenn ich schon vor der Partie weiß, dass jemand sicher gewinnen wird, dann macht das auch von vornherein weniger Spaß.

    Warum sollte mir eine Partie Schach gegen einen Großmeister keinen Spaß machen? Ist offenbar Einstellungssache.

    Ich glaube da kommt es immer auf den "Großmeister" und den "Kleinen" an.

    1. Der "Kleine" muss sich der Umstände gewiss sein, dass er gegen einen "Großen" spielt

    2. Dem "Großen" muss klar sein, dass er gegen einen "Kleinen" spielt und sich ggf. demensprechend Verhalten. (Stichwort "Trashtalk" etc.)

    3. Je nach Unterschied in dem Spiellevel hat der "Kleine" vielleicht auch keinen Spaß. Analogie aus dem Sport: ein Spiel gegen einen großen, dass 0:3 endet ist mit Sicherheit sinnvoller als mit 0:18 vom Platz gefegt zu werden. Wenn es das 0:18 ist und das Spiel komplex genug ist, wird der "Kleine" vielleicht auch gar nicht verstehen was passiert ist und warum er so krachend verloren hat

  • Es müssen ja nicht mal Turnierspieler sein, die das "Problem" darstellen. Ich kenne auch Runden, in denen sich eine Art pathologischer Ehrgeiz bei Einzelnen einstellt, zu erkennen an Verhaltensweisen, die denen von Profisportlern in nichts nachstehen: immer wird gejammert, gehadert, "ich kann nichts mehr machen" skandiert.


    Ich habe über die Jahre gemerkt, dass ich fast ausschließlich Bauch-Spieler bin, der aus diesem Grund das Schachspiel an den Nagel gehängt hat und in den letzten Jahren immer mehr Spass an taktischen Spielen hat, die gewisse Zufallsfaktoren besitzen oder zumindest ein variables Setup ihr eigen nennen (Puerto Rico hängt inzwischen am selben Nagel). Auch ist mir Gewinnen weniger wichtig. Wenn ich mir bekannte, durchaus komplexe und taktische bis strategische Spiele Neulingen erkläre, gewinne ich in den seltensten Fällen die nachfolgende Partie und hatte trotzdem Spass, insbesondere dann, wenn meine Mitspieler dies auch von sich sagen können.


    Keine Lust habe ich mehr, mit den oben genannten Ehrgeizlingen zu spielen. Wohlgemerkt, Siegeswille gehört dazu, auch bei mir. Aber wenn ich eine Gewinnstrategie entdeckt habe (eher selten), dann beginnt bei mir das Spiel langweilig zu werden.


    Insofern: ich kann mir beim besten Willen keine Teilnahme an einer Brettspielmeisterschaft vorstellen, kann aber auch nicht ignorieren, dass es sie gibt und dass Leute sich in aller verfügbaren Tiefe damit beschäftigen. Sie werden sicher auch irgendeine Form von Spass haben, nur ist das vermutlich eine andere Art, als die, die ich mir bei diesem Hobby vorstelle.

  • Hi,

    Ich finde das Thema und die anknüpfende Diskussion sehr interessant, vielen Dank für die bisherigen Beiträge! Und ich lese gerne weiter mit :)


    Wie bewertet ihr denn die diesjährige Turnierspielauswahl der DMMiB:

    - Alhambra

    - Ganz schön Clever

    - Auf den Spuren von Marco Polo

    - 6 nimmt!


    Welches Spiel sticht negativ hervor, da es optimale Strategien gibt, einfache Handlungsanweisungen oder stark destruktive Spielweisen auf einem Turnier präferiert werden?

    Welches positiv, da die Vorteile eher durch Spielerfahrung und gewonnene Tiefenkenntnisse kommen, was jedoch keine Siegesgarantie bedeutet?

    Welches Spiel wird nach der intensiven Vorbereitung für den Turnierspieler definitiv zerspielt sein?


    Grüße Khamul

  • Ich seh schon, es wird Zeit die Geschichte meiner letzten Turnierteilnahme zu erzählen.


    Es begab sich zu der Zeit als wir noch aktiv Magic The Gathering spielten. Wir spielten Tag ein Tag aus MtG. Nichts anderes. Nur Magic.

    Und so geschah es an einem Freitag in den Ferien als wir eh schon den ganzen Tag zahllose Magic Partien mit und noch mehr verschiedenen Decks gespielt hatten. Uns fiel auf, dass wir, wenn wir JETZT losgehen, noch rechtzeitig zum Friday Night Magic Booster Draft ankommen. Also sind wir aufgesprungen, haben alles stehen und liegen gelassen, jeder hat sich ein Deck geschnappt und wir sind los. Im Zug haben wir...natürlich Magic gespielt.

    Wir haben immer fair gespielt, dem anderen den Sieg genauso gegönnt wie wir unseren eigenen gefeiert haben. Wir haben Decks gebaut und getestet, verschiedenste Ideen entwickelt. Immer sehr wettkampforientiert, aber es waren ja meine Freunde, also immer fair und nett und mit Vertrauen.

    So, jetzt sitzen wir beim Friday Night Magic nach nem Tag mit unzähligen Partien, haben unser Deck gedraftet/gebaut und spielen die erste Runde.

    Ich war so gedankenverloren noch bei dem einen geilen Deck das ich unbedingt noch bauen will wenn wir heimkommen und auch noch bei den vielen anderen Runden die wir gespielt haben...mische nebenher mein Deck und ziehe meine Karten.


    Plötzlich kriegt mein Gegenüber Schnappatmung und einen hochroten Kopf und ruft nach dem "JUDGE! JUDGE! DER HAT MICH NICHT ABHEBEN LASSEN!!!" Der Judge und ich schauen uns an und während ich ungläubig mein Deck mische und meinem Gegner zum Abheben rüberschiebe grinsen der Judge und ich uns an und er zieht kopfschüttelnd von dannen.

    Noch witziger (wenngleich auch ein bisschen furchteinflößend) war der Wutanfall den er bekommen hat als ich ihn 2-0 rausgekickt hab. :D :D

    geekeriki.tv

    YouTube.com/geekeriki

  • Gegen Experten zu spielen kommt auf das Spiel und denn Experten an. Wenn ein Spiel destruktiv ist und man wird gnadenlos gegen die Wand gespielt, dann habe ich auch keinen Spaß.


    Ist aber auch das gleiche bei Videospielen. Nicht umsonst gibt es da ja oft Handicap Einstellungen, so dass eben alle Teilnehmer Spaß dran haben.

  • Es geht dabei sich eher darum in wie fern sich das Spielgefühl wandelt. Also hin zu Extrem-Strategien.

    Wenn sich ein Aufbau-Spiel in ein Erstick-Spiel wandelt .... dann mag das den Tunierleuten Spaß machen, Wege auszutüfteln sich aus den misslichen Lagen zu befreien oder den Gegner noch stärker einzuengen, aber der Gelegenheitsmitspieler wird hier seiner Motivation beraubt.

    Wenn ich gegen einen starken und erfahrenen Spieler ein Strategie-Spiel spiele, so zum ersten oder dritten Mal, dann weiß ich, dass ich höchstwahrscheinlich nicht gewinne. Das ist okay so. Ich hab dann dabei Spaß das Spiel zu erkunden und für mich selbst was aufzubauen, mich eben wacker zu schlagen. Aber wenn des anderen Spiel mir ständig Fallen stellt und meine Optionen stark einengt habe ich hier ein eher frustrierendes Erlebnis. Klar, es mag für meine Lernkurve auf dem Weg zum Tunierspieler in diesem Spiel förderlich sein, aber daran hat der übliche Gelegenheitsspieler kein Interesse. (Im Gegensatz zum Schach-Großmeister-Beispiel.)


    Gute Spiele (im üblichen Euro-Bereich für mehr als zwei Spieler) sollen dies meiner Ansicht nach vermeiden und auch unterlegen Spielern Entfaltungsmöglichkeiten bieten.

    Und vielleicht Spiele ich als Profi auch noch einfach meinen Stiefel runter wenn lauter Anfänger am Tisch sitzen. Das ist quasi die kompetitive Variante des Alpha-Spieler-Problems.


    Bei Spielen wie Root oder Bloodrage ist das ja andererseits wieder Teil des Spielprinzips.

  • Zu analytisch und zu kompetitiv kann für mich definitiv Spiele kaputtmachen.


    Hab vor ein paar Wochen das Puerto Rico Kartenspiel (San Juan) mit Leuten gespielt, die niemals nie eine Aktion auswählen wollten, bei der jemand anderes auch was hätte machen können. Also immer Goldgräber, falls verfügbar, und ansonsten immer nur dann Bauen, wenn die Spieler kaum Karten haben, verkaufen, wenn niemand Waren hat usw. Also auch oft Aktionen, von denen sie selbst nix hatten, nur damit niemand profitiert.

    War vermutlich gar nicht blöd von denen, aber insgesamt eher anstrengend, vor allem weil es das Spiel massiv in die Länge gezogen hätte, wenn ich nicht recht schnell auf meine Siegchancen verzichtet und vorwiegend altruistische Aktionen gewählt hätte. ;)

    Mein Blog (Illustrationen, Brettspieldesign, Angespielte Spiele)

  • Um die Ausgangsfrage zu beantworten: Nach meiner Erfahrung ist man irgendwann mit nahezu jedem Brettspiel durch. Wenn man es nur häufig genug gespiel hat, wird selbst der grösste Bauchspieler die Möglichkeiten eines Spiels ausgelotet haben. Das ist nur eine persönliche Frage der Zeit. Ab diesem Zeitpunkt wird dieses Spiel dann in der Regel für einen längereren Zeitraum beiseite gelegt. Aufgrund der Tatsache der allseits hier anzutreffenden häuslichen Spielstapel düfte dieser Zustand aber immer seltener errreicht werden.


    Ein Spiel nehme ich nie analytisch auseinander, ich wüsste wahrscheinlich gar nicht, wie ich das machen solte. Kartenwerte, Spielfelder zählen, extreme Spielweisen systematisch ausprobieren ? Hätte ich zumindest keine Lust.


    Egal wie gut man ein Spiel kennt, für mich sollte das Spielerlebnis immer noch für alle Beteiligten Spass machen.

    Puerto Rico habe ich früher bis zum Erbrechen gespielt. Systematisch destruktiv hätte ich nie gespielt, mit entsprechenden Mitspielern hätte es keine Nachfolgepartien gegeben. Nicht weil ich nicht gerne auch mal fies spiele, ich mag Diplomacy, sondern weil es mit zuwider ist gegen den thematischen Sinn des Spiels anzuspielen nur um zu gewinnen. Wenn man wettbewerbsmässig Turniere spielt mag das in Ordnung sein, aber einen Spielreiz oder gar Spass übt das nicht auf mich aus.

  • An sich bin ich gar nicht der analytische Spieler - jedenfalls nicht IM Spiel. Eher danach, bei der Frage, ob es mir gefällt oder nicht.


    Spannend war: In meiner Gruppe haben wir dann und wann Race for the Galaxy gespielt. Mal hab ich gewonnen, meist die anderen.


    Letzten Sommer hatte ich mir, weil ich das Spiel mochte, die App geholt und eine Weile wirklich exzessiv gespielt. Gut 200 Partien. Gegen die KI gewinne ich mal, mal verliere ich. Etwa ein 60/40 gegen mich, und oft vom Kartenglück abhängig.

    Trotzdem erreiche ich regelmäßig 45-60 Punkte.

    Ich habe das Spiel nie gezielt analysiert, trotzdem gewinne ich seitdem in unserer Analog-Runde jedes Spiel. Meist deutlich.

    Die exzessive Spielerfahrung gegen eine durchaus fordernde KI hat mich einfach Strategien entwickeln und finden lassen, die dem "Normalspieler" anscheinend überlegen sind, ohne dass ich genau sagen könnte, welche das sind...

  • Ich finde die Frage sehr gut und würde auch sagen, dass ich genau aus diesen Gründen Optimierspiele nicht mag und Spiele mit einer kleinen Zufallskomponente benötige, eben damit man sich doch jede Runde auf etwas neues einlassen muss.


    Ich habe auch schon einige Erfahrungen dazu gemacht, die mich geprägt haben.

    Eine war zum Spiel Ganz schön clever!. Wir fanden das Spiel lange Zeit ganz nett, haben es gerne zu zweit gespielt und dann haben wir diese Internetversion entdeckt und die nebenbei immer wieder gespielt. Dort hatte man dann aber ganz schnell DIE Strategie entdeckt und als man dann mehrfach 320-330 Punkte hatte, war das Spiel in meinen Augen ruiniert. Ich habe das Spiel dann weggeworfen und als das bei Freunden auf dem Tisch landen sollte, habe ich knallhart gesagt, alles, nur das nicht. Ich kann es wirklich nicht mehr sehen und mir macht es gar keinen Spaß mehr.


    Anderes Erlebnis war als Gegenpol zu euren "Ich kenne die Strategie und meine Mitspieler nicht". Freunde haben uns Heaven und Ale zeigen wollen, aber schon relativ halbgar die Regeln erklärt sowie keine Tippstrategie oder ähnliches genannt. Als es dann losging, war ganz offensichtlich, dass es eben DIE Strategie gab, denn die Freunde sind sofort draufgegangen und wir haben das nicht kapiert. Hatten dann mit der Zeit auch gar keine Chance und das war für mich auch eine der schlimmsten Erfahrungen, denn wir haben irgendwie 2 Stunden gespielt und ich wusste schon nach 2-3 Runden, dass ich am Anfang enorme Fehler gemacht habe und eben DIE Strategie hätte verfolgen müssen. Und auch wenn einige sagen, ja, ist doch die Motivation da, es beim nächsten Mal besser zu machen, für mich ist sowas ein KO-Kriterium, denn für mich hat sich eben das Gefühl ausgebreitet, dass es eben nur die Strategie gibt und nichts anderes zum Ziel führt. Wozu also nochmal spielen?

    Ich will auch keine Diskussion zum Spiel entfachen und ob es da eben doch mehr Strategien gibt, aber in meinen Augen muss ein gutes Spiel eben viele erfolgsversprechenden Strategien besitzen und einem das Gefühl vermitteln, dass man vieles ausprobieren kann.


    Die Geldstrategie bei Dominion ist übrigens der Punkt, der uns Dominion auch relativ ruiniert hat. Denn sobald einer darauf geht, macht es keinen Spaß mehr, weil man wirklich selten eine Chance dagegen hat. D.h. wir haben sogar schon Abmachungen getroffen, dass da keiner drauf geht und das wiederum ruiniert aber auch das Spielgefühl.

    Bitte Rechtschreibfehler ignorieren :S

    Tippe oft mit Handy in der einen Hand und Baby in der anderen :danke:

  • Die Geldstrategie bei Dominion ist übrigens der Punkt, der uns Dominion auch relativ ruiniert hat. Denn sobald einer darauf geht, macht es keinen Spaß mehr, weil man wirklich selten eine Chance dagegen hat. D.h. wir haben sogar schon Abmachungen getroffen, dass da keiner drauf geht und das wiederum ruiniert aber auch das Spielgefühl.

    Schau mal hier: Big Money - DominionStrategy Wiki


    Da gibt es u.a. Tipps wie man gegen diese Strategie vorgehen kann.

  • Ja, ich sag ja auch, dass man selten eine Chance dagegen hat. Aber ich will mir auch gar keine Strategien von einem Spiel durchlesen, ich möchte diese lieber selber entdecken im Spiel oder eben sowieso das Gefühl haben, dass vieles gleichstark ist.

    Aber danke

    Bitte Rechtschreibfehler ignorieren :S

    Tippe oft mit Handy in der einen Hand und Baby in der anderen :danke:

  • Hatten dann mit der Zeit auch gar keine Chance und das war für mich auch eine der schlimmsten Erfahrungen, denn wir haben irgendwie 2 Stunden gespielt und ich wusste schon nach 2-3 Runden, dass ich am Anfang enorme Fehler gemacht habe und eben DIE Strategie hätte verfolgen müssen.

    Ich kenne Heaven und Ale nicht, aber das ist doch dann eben schon ein Probelm des Spiels. Wenn es DIE Strategie gibt, kann es imo kein sehr gutes Strategiespiel mehr sein. Denn die leben für mich davon, dass es mehrere (nahezu) gleichwertige Strategien gibt und dass auf die Besonderheiten der aktuellen Partie mit taktischer Flexibilität begegnet werden muss.

    Ach ja? Definier mir "normal"!

  • Schöne Diskussion. Mehr fehlen die konkreten Beispiele abseits von Puerto Rico. Deshalb möchte ich einige Spiele explizit nennen.


    Turniere sind mir ein Gräuel und verbissene Mitspieler kann ich seit Jahren meiden. Klar gewinne ich gerne, aber mehr Erkenntnis - auch eine Art von Spaß - bringen die Niederlagen. Ich spiele deshalb gerne mit Leuten, die ein Spiel schon super beherrschen - auch wenn dann klar ist, dass ich verliere. Aber ich lerne auch gerne von solchen starken Spielern. Die Partie, die mir bei Orleans im Gedächtnis geblieben ist, ist eine Niederlage gegen eine Strategie, die ich niemals für siegfähig erachtet habe. Dann ziehe ich gerne den Hut und gratuliere. Selbiges ist mir bei Marco Polo passiert. Beides Spiele, die ich ganz gut beherrsche und mit jeweils über 50 Partien auch meine Erfahrungen gemacht habe.


    Wenn ich ein Spiel toll finde, möchte ich es erkunden. Irgendwann kommt man nicht mehr weiter, dann lese ich sehr gerne Strategiebeiträge hier und auf BGG. Das führte dazu, dass ich mich sehr intensiv mit Tzolkin und Nippon auseinandergesetzt und mehrere hundert Partien online gegen menschliche Mitspieler gespielt habe.


    Tzolkin besteht die Probe nur im Viererspiel. Dann ist es immer noch möglich mit verschiedenen Strategien zu gewinnen. Im 2er und 3er Spiel gewinnt immer der Rohstoff-Spieler. Spielen im 3er Spiel beide auf Rohstoffe gewinnt der Totenkopf-Spieler. Das ist einfach so. Nur im 4er Spiel haben auch andere Strategien (3-Worker-Tempel und Maisspieler) eine Chance.


    Nippon besteht die Probe komplett. Egal ob 2er, 3er oder 4er Spiel. Man kann mit verschiedenen Fabriken gewinnen. Das spannendste Spiel meines Lebens war tatsächlich online gegen die Nummer drei der Nippon-Rangliste gewesen. Ich war damals irgendwo auf Platz 30 und war sehr gespannt wie er spielt. Am Ende konnte ich tatsächlich hauchdünn gewinnen, was mich riesig gefreut hatte - und viel gelernt habe ich dennoch.


    Um die Ausgangsfrage zu beantworten: Nach meiner Erfahrung ist man irgendwann mit nahezu jedem Brettspiel durch. Wenn man es nur häufig genug gespiel hat, wird selbst der grösste Bauchspieler die Möglichkeiten eines Spiels ausgelotet haben. Das ist nur eine persönliche Frage der Zeit. Ab diesem Zeitpunkt wird dieses Spiel dann in der Regel für einen längereren Zeitraum beiseite gelegt. Aufgrund der Tatsache der allseits hier anzutreffenden häuslichen Spielstapel düfte dieser Zustand aber immer seltener errreicht werden.

    Das sehe ich anders. Es gibt schon Spiele, die eine hohe Anzahl an Partien "aushalten" und niemals "durch" sein werden.


    Gaia Project habe ich über 370 mal gespielt und kann nicht feststellen, dass es auch nur ein einzelnes Volk gibt, das übermächtig sein soll. Diese Erkenntnis wird auch im entsprechenden Forum auf BGG bestätigt.


    Mombasa habe über 70 mal gespielt und auch hier erkenne ich keine Siegstrategie. Nicht mal im Ansatz. Die Interaktion ist hier aber auch so krass, dass man der Taktikanteil extrem hoch ist.


    Great Western Trail habe ich über 50 mal gespielt und auch hier gibt es weder eine Richtung (Cowboy, Eisenbahner, Häuslebauer) oder Mischstrategie, die übermächtig ist. Sehr zu empfehlen ist das Video zur Meisterschaft in Amerika und den entsprechenden Kommentaren. Die Erweiterung verschiebt die Siegchance ein bisschen Richtung Häuslebauer und weg von Rinderbaron. Passt aber immer noch.


    Concordia gewinnt angeblich derjenige, der planlos Karten kauft und das Spiel beschleunigt. Das stimmt natürlich gar nicht. Da Karten mit X (Sektoren, Waren etc.) multipliziert werden, brauche ich beides in einem gewissen Verhältnis.


    Klar gibt es Spiele, die irgendwann "kaputtgespielt" sind wenn bekannt ist wie diese zu gewinnen sind. Das sind, wie bereits erwähnt, aber eher die schwächeren.

    Fazit: Es gibt genug tolle Spiele, die hunderte von Partien aushalten. Diese sind es wert erkundet zu werden.