Eine hohe Downtime-Abwertung des Spiels?

  • Um den ursprünglichen Faden wieder aufzunehmen: Bei der ganzen Downtime-Diskussion sollte man schon unterscheiden, wann man Downtime empfindet. Das kann von Spieler zu Spieler ganz unterschiedlich sein und hängt wohl auch stark davon ab, wie viel Interesse man generell für das Spielgeschehen an sich aufbringt:


    Da gibt es Spieler, die sich eher wenig für die Züge und Aktionen der Mitspieler interessieren und erst wieder aufs Brett schauen, wenn man sie erinnert, dass sie jetzt am Zug sind. Ob die Downtime empfinden, weiss ich nicht, müsste jemand sagen, der sich angesprochen fühlt.


    Allerdings können diese Spieler eben Downtime für die restliche Spielrunde erzeugen, die durchaus an den Aktionen der Mitspieler teilhaben will. Aber wenn während der Denkpause dann minutenlang nichts passiert, was man selbst beobachten und analysieren könnte, wird es nervig und langweilig, weil es nicht voran geht. Ebenso wird es aber auch nervig (zum Glück nur selten erlebt), wenn man angetrieben von einem Schnellspieler durch die Aktionen hastet und vom Spiel wenig übrigbleibt. Gibt also auch das gegenteilige Übel.


    Ich lehne mich mal weit aus dem Fenster und behaupte ebenso, dass in den wenigsten Fällen Downtime durch das Spieldesign entstehen muss. Weil dann wäre es ein Designfehler und schlicht ein schlechtes Spiel. Nicht aktiv verbrachte Spielzeit wird ja erst zur Downtime, wenn einem das Spielgeschehen egal wird, weil es keine Auswirkungen auf den eigenen Zug hat und/oder die Aktionen der Mitspieler im Grunde uninteressant sind, weil der Ausgang schon feststeht und/oder kein Spannungsbogen vorhanden ist und/oder man selbst keinen Zugang zu dem Spiel gefunden hat. Wenn einem aber das Spielgeschehen egal wird und die Aktionen der Mitspieler uninteressant sind, dann ist es entweder ein schlechtes Spiel - oder man (was wohl eher zutrifft) selbst nicht die Zielgruppe dafür und erlebt eben Downtime.


    Cu/Ralf

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  • Tyrfing:
    Bei mir ist es genau umgekehrt, ich kenne viele, die schon Sekunden nach "Grübelbeginn" anfangen zu nerven (und ja, das sind genau die, die selbst auch nicht schneller sind) und nur einen, der wirklich lange überlegt, der aber auch fast immer gewinnt.


    Zur persönlichen Erfahrung und zur "Giftmenge" gehört wohl auch persönlicher Geschmack... Ich komme persönlich eben eher mit Grüblern klar (da ich mit denen die grundsätzliche Einstellung, auf Sieg zu spielen, teile), und weniger mit Dränglern (das finde ich fast immer unangebracht).
    Plakativ formuliert, der Grübler bringt ja letztendlich was zu Wege, der Drängler nervt nur und vor allem verlängert er in der Regel das Grübeln...




    Monchichi:
    Oh, das läuft aber ganz anders, mit Schachuhren. Ich hatte vorausgesetzt, daß Du das weißt. Eine Schachuhr ist wie ein Countdown - Du hast z.B. 2h Zeit, Deine Züge zu machen - aber für das ganze Spiel!
    Nehmen wir an, Du brauchst je 3 Minuten für Deine ersten drei Züge, dann zeigt die Uhr zu Beginn Deines vierten Zuges noch 1:51 an. Klar?
    Wie lange Du für einen einzelnen Zug brauchst, wird dadurch gar nicht begrenzt. Nur, wenn Du - im Beispiel Schach - ins Endspiel kommst und Du hast insgesamt nur noch 8 Minuten, Dein Gegner aber hat noch 25, dann wird's spannend...
    Und natürlich verlierst Du einfach, wenn Deine Uhr 0:00 anzeigt. Egal, wie es dann auf dem Brett aussieht. Und da gibt es auch keine Diskussionen. Klar?


    Was Deine Diplomacy-Runde angeht, so könnte man das so machen, daß es zwar ZATs gibt, aber jeder Spieler darf die in einer Partie vielleicht viermal versäumen. Erst beim fünften Mal bleiben die Einheiten stehen. Ich persönlich spiele dann lieber mit Spielern, die ihre ZATs einhalten...

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  • Hallo Ralf,


    JA und NEIN.


    Ich sehe es genau umgekehrt, ich glaube, das Spieldesign hat einen ganz großen Einfluß auf die Downtime. Ich glaube z.B., das eines der größten Erfolgsgeheimnisse von SvC die Handelsphase ist, die jeden Spieler ständig am Brett hält. Nur ganz selten will ich selbst nichts haben oder würde nichts hergeben - fast immer handeln alle irgendwie mit. Das ist genial und solche Mechanismen sind selten.


    Anderes Beispiel - TITAN von AH. Ein Urgestein der Spielszene, aber mit laaaaaaaaaaaaaaaaanger Downtime. Wenn zwei Spieler untereinander ihre Schlacht austragen, dann interessiert mich sogar das Ergebnis der Schlacht, aber die Schlacht selbst eigentlich nicht... Fans werden sagen, daß man daraus Rückschlüsse auf die Taktik usw. usf., aber das langweilt mich persönlich.


    Um nochmal allgemeiner zu bleiben, der so verbreitete PR Mechanismus (Ich wähle Rolle A, alle Spieler machen Aktion der Rolle A, nächster Rolle B, aller Spieler Aktion der Rolle usw. usf.) ist auch deswegen so beliebt, weil er ebenfalls die Downtime "unten hält". Zum einen, weil sich ständig was auch für mich tut, zum anderen, weil sich die Situation vor meinem Zug ja auch verändert - bleibt mir Rolle X oder Y zur Wahl?


    Bei "alten" Spielen hat jeder Spieler seinen kompletten Zug alleine durchgezockt, während alle anderen nur warten konnten. Bei "modernen" Spielen wird das möglichst aufgelöst, so daß jeder Spieler immer irgendwo ein bißchen zu tun hat.


    Dein Beispiel TIKAL: Wieviel spannender wäre es, wenn ein anderer Spieler eine VETO-Aktion hätte, wo er sozusagen als Reaktion auf einen Deiner Schritte eingreifen könnte? (Gut, andererseits würde man dann wieder länger überlegen... :) ).



    Zitat

    Da gibt es Spieler, die sich eher wenig für die Züge und Aktionen der Mitspieler interessieren und erst wieder aufs Brett schauen, wenn man sie erinnert, dass sie jetzt am Zug sind.


    Hm, sind das nicht genau die, welche ein Spiel spielen "um Spaß zu haben" und nicht, "um zu gewinnen"?
    Ehrlich gesagt hatte ich genau diese Spieler vor Augen, als Du weiter oben davon gesprochen hast, daß man doch um des lieben Frieden willens auch mal suboptimale Züge voreilig machen sollte, nur, damit alle auch schön oft drankommen... :box:

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  • Zitat

    Original von Sternenfahrer


    Monchichi:
    Oh, das läuft aber ganz anders, mit Schachuhren. Ich hatte vorausgesetzt, daß Du das weißt. Eine Schachuhr ist wie ein Countdown - Du hast z.B. 2h Zeit, Deine Züge zu machen - aber für das ganze Spiel!
    Nehmen wir an, Du brauchst je 3 Minuten für Deine ersten drei Züge, dann zeigt die Uhr zu Beginn Deines vierten Zuges noch 1:51 an. Klar?
    Wie lange Du für einen einzelnen Zug brauchst, wird dadurch gar nicht begrenzt. Nur, wenn Du - im Beispiel Schach - ins Endspiel kommst und Du hast insgesamt nur noch 8 Minuten, Dein Gegner aber hat noch 25, dann wird's spannend...
    Und natürlich verlierst Du einfach, wenn Deine Uhr 0:00 anzeigt. Egal, wie es dann auf dem Brett aussieht. Und da gibt es auch keine Diskussionen. Klar?


    Ich hatte es auch prinzipiell verstanden was du mit der Schachuhr meinst für die gesamte Spielzeit. Wobei ich zugeben muss wenn du es so ausführlich beschreibt hört sich das Prinzip ganz interessant an. Welche Spiele hast du denn schon mit diesem Prinzip gespielt bzw. für welche Spiele eignet sich das Schachuhrenprinzip deiner Meinung nach?


    Haben schon mehrere von euch Vielspieler das Schachuhrenprinzip ausprobiert ?


    Zitat

    Original von Sternenfahrer


    Was Deine Diplomacy-Runde angeht, so könnte man das so machen, daß es zwar ZATs gibt, aber jeder Spieler darf die in einer Partie vielleicht viermal versäumen. Erst beim fünften Mal bleiben die Einheiten stehen. Ich persönlich spiele dann lieber mit Spielern, die ihre ZATs einhalten...


    Das tue ich euch lieber :) Wir hatten damals nur eine soganannte "Gelbe Karte". Aber nachdem wir das Spiel auf diese Weise nicht so sehr beeinflussen wollten ließen wir die "Rote Karte" ganz weg da wir eben befürchteten dass das Spiel dadurch entschieden wird. So hatten wir damals auch 3 Monate viel Spaß was den bißchen Ärger bei weitem übertroffen hat.


    P.S. Ich kam damals übrigens ohne Verwarnung aus :aufgeb:


    Zitat

    Original von ravn
    Ich lehne mich mal weit aus dem Fenster und behaupte ebenso, dass in den wenigsten Fällen Downtime durch das Spieldesign entstehen muss.


    Kann ich dir nur zustimmen wie mit auch mit deinem anderen Geschriebenen.


    Gruß Monchhichi

  • Zitat

    Dein Beispiel TIKAL: Wieviel spannender wäre es, wenn ein anderer Spieler eine VETO-Aktion hätte, wo er sozusagen als Reaktion auf einen Deiner Schritte eingreifen könnte? (Gut, andererseits würde man dann wieder länger überlegen... :) ).


    Das erinnert mich an "Darfst-Du-nicht"-Schach! (Ja, kein Witz, das gibt es wirklich - naja, nicht "offiziell", aber eine sehr interessante Spass-Variante!


    Die Idee ist es das man nach einem Zug vom Gegenüber "Darfst du nicht" sagen darf, und dann MUSS der Spieler den Zug zurück nehmen und einen *anderen* Zug machen (den darf man dann nicht verneinen). Das kann man in *jedem* Spielzug einmal machen.


    Der Witz an der Sache ist, das man nun immer den *zweitbesten* Zug sucht, weil den besten wird ein guter Spieler ja ablehnen.


    Ziemlich unterhaltsame Variante ...


    Sehr


  • Au ja! Ich kann mich dumpf erinnern. Mein herz hängt immer noch an Jokerschach mit Desperadobauer..... 8-)

    Ich gebe hier, auch wenn ich es im Text nicht explizit erwähne, immer meine persönliche Meinung wieder.

  • Zitat

    Original von Sternenfahrer
    Anderes Beispiel - TITAN von AH. Ein Urgestein der Spielszene, aber mit laaaaaaaaaaaaaaaaanger Downtime. Wenn zwei Spieler untereinander ihre Schlacht austragen, dann interessiert mich sogar das Ergebnis der Schlacht, aber die Schlacht selbst eigentlich nicht... Fans werden sagen, daß man daraus Rückschlüsse auf die Taktik usw. usf., aber das langweilt mich persönlich.


    Deshalb halte ich TITAN für ein schlecht designtes Spiel: In vielen Situationen sind nur zwei Spieler aktiv beteiligt und man kann sogar noch vorzeitig ausscheiden. Altes, überholtes Spieldesign, das Downtime fördert. Diesen Typus von Spiel halte ich bei aktuellen Veröffentlichungen aber eher für eine Ausnahme. Wer kennt aktuelle Beispiele, wo die Downtime vom Spieldesign vorgegeben ist und eben nicht von den Spielern provoziert wird aufgrund Denkstarre?


    Zitat

    Original von Sternenfahrer


    Hm, sind das nicht genau die, welche ein Spiel spielen "um Spaß zu haben" und nicht, "um zu gewinnen"? Ehrlich gesagt hatte ich genau diese Spieler vor Augen, als Du weiter oben davon gesprochen hast, daß man doch um des lieben Frieden willens auch mal suboptimale Züge voreilig machen sollte, nur, damit alle auch schön oft drankommen... :box:


    Ne, das sind meiner Meinung nach die Spieler, die mitspielen, obwohl sie kein wirkliches Interesse an dem Spiel haben - oder sich was anderes von dem Spiel versprochen hatten und dann selbst gelangweilt sind und deshalb die Spielrunde ausbremsen, weil sie nicht mit- und vorausdenken wollen. Spass-Spieler spielen hingegen aktiv mit, erlauben sich aber auch supotimale Bauchzüge, weil sie nicht alle Optionen in aller Tiefe durchdenken wollen. Soweit meine Erfahrung, wobei sich das eh nicht verallgemeinern lässt. :)


    Cu / Ralf

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