Space Hulk - Todesengel. Betrachtung als Solo-Spiel, und vielleicht ein bisschen mehr.

  • Im Folgenden der Versuch einer Spiele-Besprechung, die einer langen Schlechtwetterperiode geschuldet ist (Details über die genauen Umstände erspare ich Euch lieber). Es lag dabei durchaus in meiner Absicht, keinen glattgekürzter Standard-Rezensionstext aufzusetzen, der dem Leser lediglich auf rein funktionale Art die wichtigsten Informationen für eine Kaufentscheidung vermittelt. Von der Art gibt's nämlich gerade genug auf der Welt, und als Entscheidungshilfe dafür kommt dieser Text eh um Jahre zu spät. Es handelt sich vielmehr um den Versuch, ein Spiel unter Berücksichtigung verschiedener Aspekte auf eine freie Art und Weise zu einfach nur zu "besprechen", das ich in den letzten Tagen oft gespielt habe -- wobei der Text nichtsdestotrotz viele wertende Aussagen enthält, die man als Käuferinformationen heranziehen könnte.


    Ein bisschen lang ist der Text dann aber doch geworden. Wenn Du Dich für eine Art "Fazit" interessierst, dann schaue unten. Sei Dir sicher: Du verpasst beim Überspringen des Hauptteil nichts, was Dein Leben verändern würde -- vielleicht aber den Blick auf das besprochene Spiel. :)


    Space Hulk - Todesengel. Betrachtung als Solo-Spiel, und vielleicht ein bisschen mehr.


    Einleitung


    Was macht der Mann von Welt, wenn er sich einsam und gelangweilt fühlt? Empirisch und literarisch betrachtet gibt's da mehrere interessante Optionen: Die eher in sich selbst verbohrten Typen spalten vielleicht alten Frauen den Schädel und finden dann zum wahren Glauben, oder verzweifeln in angesagt-kulturpessimistischer Manier an sich selbst und den unerfüllbaren Versprechungen der westlichen Gesellschaft, während der reale Anders Breivik womöglich vor allem darum letztlich zum Massenmörder wurde, weil er in seinem inneren und vom Widerspruch Außenstehender befreiten Parallelkosmos die Dinge zu lange in sich verdreht hatte.


    Der wahrhaft vernünftige Mann spielt dagegen natürlich am liebsten mit sich selbst, wenn er einsam ist. Das ist erstens nicht so bierernst, zweitens weniger gefährlich für Außenstehende und drittens unterhaltsamer, wenn auch diese Aktivität nicht immer und automatisch Freude bereitet, wie ich bereits frustriert feststellen musste. Fire in the Lake beispielweise war, obwohl unter anderem als Solo-Spiel konzeptioniert, in meinen Augen eine trockene Übung in Arithmetik und Regelauslegung. Mir kam damals der Vergleich mit dem Lösen eines Sudokus in den Sinn. Diesen Vergleich allerdings muss ich inzwischen revidieren. Erstens: Ein Sudoku ist eindeutig lösbar, Fire in the Lake ist es nicht (bzw. vermutlich nicht, zum Glück!). Zweitens, nur zwei Worte: steile Lernkurve. Ich bin inzwischen sicher: Fire in the Lake wird auch solo sehr gut sein, sobald man nicht mehr ständig das Regelheft konsultieren muss.


    Revidieren muss ich zudem auch die damalige Selbsteinschätzung, per se kein Solo-Brettspieler zu sein, denn inzwischen macht mir Space Hulk - Todesengel auch alleine Spaß, wenn auch nicht zwangsläufig und nicht jederzeit. Ich würde aber behaupten, es ist als Solospiel sogar besser gelungen, denn als Voll-Koop für mehrere Spieler.


    Andererseits möchte ich nicht den Eindruck erwecken, das Spiel sei in irgendeiner Art herausragend. Es ist nur ein Spiel, das einen bestimmten Spielertypen anspricht, der von einem Spiel in erster Linie Storytelling, Stimmung und Spannung erwartet, und der über spielmechanische Mängel hinwegsehen kann. Es ist in der Gesamtbetrachtung ein sogar eher unterdurchschnittliches, aber typisches Ameritrash-Kampfspiel mit omnipräsentem Thema und all den schrecklich-schönen Eigenschaften, die den Euro-Designern dieser Welt vermutlich graue Haare wachsen lassen: Todesengel ist primitiv, beliebig, gewalttätig, un-strategisch und -- ist diese Aussage schon Sexismus? -- bemüht sich keine Sekunde um die Aufmerksamkeit potenzieller Spielerinnen, was selbstverständlich bedingt ist durch das Setting: Warhammer 40.000.


    Über das Setting und Zielgruppen


    Gibt es überhaupt irgendeine fiktive Welt, die derart kompromisslos auf Jungs im Alter von etwa 12 bis vielleicht 16 Jahren abzielt? Nun ja, vielleicht alte Perry-Rhodan-Geschichten aus den 60ern; aber selbst da hat der Held geheiratet und sogar einen Sohn gezeugt! (Wie so etwas passieren konnte, hat übrigens niemand jemals dem PR-Leser erklärt, aber wen interessiert auch solcher Beziehungsscheiß, wenn man doch auch über so tolle Sachen wie kilometergroße Kugelschlachtschiffe mit Linearantrieb und Inverterkanonen mit einer Sprengkraft von 10 Gigatonnen TNT schreiben kann?)


    In Warhammer 40.000 dagegen gibt's anscheinend selbst solche überflüssigen Vorgänge wie die sexuelle Fortpflanzung nicht (wobei ich das nicht sicher weiß, aber das ist im Zweifelsfall auch egal). Die Space Marines, die in Space Hulk für den Imperator kämpfen und sterben, werden jedenfalls im Genlabor gezüchtet und geklont. Das ist sehr geschickt gelöst, denn auf diese Weise wird nicht nur plausibel erklärt, warum die Space Marines solche abartigen Kampfmaschinen sind; gleichzeitig wird so sichergestellt, dass die Action nicht durch Beziehungskram verwässert wird, der je nach Alter oder Veranlagung den Spieler nur schrecklich nerven, verunsichern oder frustrieren würde.


    Nebenbei bemerkt: Die latenten sexuellen Frustrationen der pubertierenden Spieler, die mit der körperlichen und geistigen Verunsicherung durch das Hormonchaos im Blut einhergehen, drücken sich auch ganz deutlich in der traditionellen Gestaltung der Cover der Spiele von Games Workshop, respektive seit einiger Zeit auch Fantasy Flight aus. Da rennen überall waffenschwingende Typen mit schreienden verzerrten Gesichtern durch das Bild, die alle nur eins ausdrücken:"Boah was bin ich heute wütend und frustriert! Ich muss ganz dringend wieder ein paar Monster umbringen oder endlich auch mal bumsen aber ich weiß nicht wie ich das anstellen soll darum lieber killen uaaaaaaaahhhh!!".
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    Das alles ändert aber nichts daran, dass man auch als Erwachsener ein Warhammer-Spiel spielen kann. Denn wenn auch Games Workshop heutzutage hauptsächlich auf sehr gekonnte Art und Weise Spielzeugfiguren an Jugendliche mit ordentlich "Cash in the Tasch" verkauft, so bleibt Warhammer 40k doch eine großartige, gewalttätige und schreckliche, faszinierende und epische SF-Fantasy-Welt, deren Anziehungskraft man sich kaum entziehen kann, sofern man Sympathien für diese Genres hegt.


    Ich vermute, dass jeder Brettspieler früher oder später zumindest am Rande mitbekommt, welche Welt dort beschrieben wird (ähnlich wie ich selbst übrigens, auch wenn mir das angesichts des Avatars, den ich hier benutze, manch einer vielleicht nicht abnehmen wird). Aber tun wir aus rhetorischen Gründen einmal so, als wäre "40K", wie die Welt gerne auch genannt wird, ein völlig unbekanntes Universum.


    Games Workshop würde an dieser Stelle auf eine für die Brettspielwelt vermutlich einzigartig mitreißende Art und Weise über viele Seiten en detail erklären, wie die Welt der Menschen im 40. Jahrtausend aussieht; wer der unsterbliche Imperator eines galaxisweiten Reiches ist, das bewohnt wird von abertausenden von Milliarden Menschen, die von ihren unzähligen Todfeinden nur durch die gigantische Imperiale Armee und die elitären Space Marines beschützt werden; was das psionische Reich des Warps ist, in dem die vier Chaosgötter herrschen und in dessen Strömen Geisterraumschiffe jahrhundertelang umhertreiben, bis sie an bestimmten Fokuspunkten des Warps angelangen und dort zusammengekeilt mit vielen anderen Raumschiffen als ein riesiger "Space Hulk" wieder im Weltraum stranden; und wer die Symbionten sind, die sich auf diesen Space Hulks einnisten und darauf warten, eine bewohnte Welt zu infizieren und verschlingen zu können...


    So jedenfalls steht's sehr ausführlich geschrieben im Missionsheft zum "richtigen" Space Hulk, also dem teuren Brettspiel in der großen, schweren Schachtel, das Spiel mit dem rekordverdächtig hochwertigen Spielmaterial. Dort findet man tatsächlich über 12 A4-Seiten reiner thematischer Stimmungsmache, die ohne irgendeine Relevanz für die Spielmechanik sind. Das mag einem lächerlich vorkommen, aber hier berührend wir exakt an dem Punkt, der die Stärke eines "thematischen" Spieles ausmacht. Genau auf diese Kleinigkeiten kommt's an! Mit einer solch detailreichen und in bester Manier eines Rollenspiel-Quellenbuchs präsentierten thematischen Einstimmung bekommt jedes Spiel völlig unabhängig von seinen sonstigen Eigenschaften sofort eine ganz andere, aber für bestimmte Spielertypen entscheidend wichtige Qualität: Werde ich als Spieler in diese Welt hineinversetzt? Kann es eine spannende Geschichte erzählen?


    Die Antwort ist: Ja, das funktioniert. Aber: Das tut es erst, seitdem ich das eben beschriebene Beiheft zum "großen" Space Hulk gelesen habe. Beim Kartenspiel ist ein solches Beiheft nämlich nicht dabei, und das ist wirklich bedauerlich, denn wer diese Welt nicht kennt, der wird selbst als lupenreiner Trasher mit Space Hulk - Todesengel nicht viel anfangen können, da bin ich mir vollkommen sicher. Als Spiel an sich nämlich bietet es zahlreiche Schwächen, die meiner Ansicht nach nur durch das Storytelling ausgeglichen werden können.
    Ich habe innerhalb der letzten paar Tage neun Partien des Spiels absolviert und grob protokolliert (immer konsequent bis zum Ende). Die Spieldauer betrug mindestens 35 Minuten einschließlich Aufbau, die längste Partie dauerte 84 Minuten.


    Spielmechanische Betrachtung (der langweilige Teil der Besprechung)


    Die vom Spieler gesteuerten Space Marines bewegen sich durch Räume eines Raumschiffs, und werden dabei von KI-gesteuerten Symbionten attackiert. Die Marines gewinnen, wenn sie in einem Zielraum angelangen und überleben. Die Marines sind unterteilt in Kampftrupps zu je zwei Marines. Welche Teams genau zum Einsatz kommen, wird zufällig bestimmt. Die Startaufstellung der Marines folgt ebenso dem Zufallsprinzip.


    Spielrundenablauf:

    • Jedes Team wählt halb-diskret eine von drei verfügbaren Aktionen (Kartenwahl; die gewählte Aktion ist für die Folgerunde nicht verfügbar, es bleiben später also nur je zwei zur Auswahl). Die gewählten Aktionen werden in einer bestimmten Folge abgehandelt.
    • Die Symbionten kommen in der darauffolgenden Phase zum Zug. Angriffe und Verteidigung werden mit einem einzelnen Würfel abgehandelt. Marines attackieren zuerst und treffen grundsätzlich mit 50% Erfolgschance, dann attackieren die überlebenden Symbionten, die grundsätzlich mit der Chance von mindestens einem Drittel treffen. Zum Abschluss der Spielrunde folgt ein Ereignis (rein zufällig), neue Symbionten erscheinen (zufällig, aber Wahrscheinlichkeiten folgend), eventuell erfolgt eine Symbiontenbewegung (zufällig, aber umso wahrscheinlicher, je mehr Symbionten im Spiel sind).

    Taktik (auch langweilig)


    Man sieht also sofort: Der Spielablauf ist derart beliebig, und die Optionen für den Spieler sind so limitiert, dass der strategische Aspekt vernachlässigbar ist.


    Wichtig ist: Die Symbiontenschwärme müssen klein bleiben. Ab einer Schwarmgröße von 5 hat man einen Kill-Stack vor sich, der in jeder Runde einen Marine sicher töten wird.


    Als Solo-Spieler hat man Einblick in die Aktionskarten aller Teams und kann daher ohne Unsicherheitsfaktor Aktionen planen, aber streng genommen ist das nicht im Sinne des Spiels. Man kann sich natürlich bemühen, die für die Abfolge relevanten Zahlen auf den Karten nicht zu beachten, aber ein Grundsatz wird dennoch beim Abhandeln der gewählten Aktionskarten schnell offensichtlich werden: Zuerst kommen alle Aktionen "Unterstützung", dann alle "Bewegung und Aktivierung", zuletzt alle "Angriffe". Die Abfolge der Teams innerhalb eines Aktionstypus ist dann aber jeweils unterschiedlich und löst im Mehrspielermodus ärgerliche Fehlplanungen aus. Theoretisch könnte man die Reihenfolgen zwar auswendig lernen. Ich tendiere aber dazu, als Solo-Spieler mit vollständiger Information über die Aktionskarten zu spielen. Das Spiel ist auch so noch zufällig genug.


    Taktisch gilt es außerdem zu beachten:

    • Beschütze vorrangig die Marines mit Spezialfähigkeiten.
    • Denke früh an die Unterstützungsmarker (die erlauben nachwürfeln)
    • Sei schnell - nutze Abkürzungen, wenn solche im Spiel sind

    Der Vollständigkeit halber noch ein paar Worte zur Produktion (vor allem Gezeter über das Regelheft)
    Wir haben es hier mit einem typischen FFG-Spiel zu tun. Manche Leute halten deren Qualitätsstandards für hoch, andere für auffallend schlecht. Im vorliegenden Fall finde ich es in Ordnung, und ob die Karten nun in China gedruckt wurden oder in den USA, ist mir egal; allerdings wäre mir als Nachhaltigkeitsverfechter so ein kleines FSC-Zertifikat schon sympathisch.


    Ein paar kleine redaktionelle Fehler haben sich in der deutschen Version eingeschlichen. Einmal wird im Regelheft auf eine falsche Seite verwiesen, und auf einer der Karten findet sich ein Grammatikfehler; aber obwohl so etwas sicher leicht unprofessionell ist, finde ich das nicht weiter nennenswert.


    Wie man allerdings bei einem solch einfachen Spiel die Anleitung auf 32(!) Seiten aufblähen kann, ist mir unbegreiflich. Gut, das Regelheft in den zwei anderen Dimensionen so klein abgemessen, dass es in die Sliverline-Schachtel passt, aber dennoch hallo! Das muss man doch auch kürzer hinbekommen können? Der allseits beliebte "Univeral Head" hat es geschafft, die Regel auf sage und schreibe vier Seiten einzudampfen, die ohne Zusammenfalten auch in die Schachtel passen! Aber gut, ist ja nicht so wichtig, wenn die Regel dafür klar und übersichtlich wäre -- ist sie aber nicht, wahrscheinlich eben genau darum, weil sie so lang ist.


    Ärgerlich ist in diesem Zusammenhang die (vermeintlich) sinnfreie Umständlichkeit mancher Regeln, die beim Neuling die Wahrscheinlichkeit von falschem Spiel erhöht. Mir will beispielweise nicht einleuchten, weshalb das Ändern der Blickrichtung bei "Bewegen und Aktivieren" so explizit erst nach der Bewegung aller Marines innerhalb der Formation erfolgen darf. Es gibt doch nur zwei Marines pro Team! Sollte da jemand ernsthaft vergessen haben, bei welchem der beiden er gegebenenfalls schon den Kopf bewegt hat? Also bitte. Auch die Regeln zum Auslegen der Ausstattungskarten ist umständlich dargestellt: Links der Formation gilt immer "von oben nach unten", rechts gilt immer "von unten nach oben" (ist sinnvoll, weil die Ausstattungskarten so besser verteilt werden). Aber: Das steht so eindeutig nirgends im Regelheft! Stattdessen wird erklärt, dass man immer den Pfeilen folgen soll, die auf die Raumkarten aufgedruckt sind -- nur, dass diese eben ausnahmslos immer links nach unten, und rechts nach oben deuten. Absurd.


    Na gut. Alles Kleinigkeiten. Fantasy Flight hat produktionstechnisch schon ganz andere Dinge verbrochen, ich denke da an das grauenhafte Regelheft zu Arkham Horror und haarsträubenden Schlampereien wie die defekten Szenarios für Villen des Wahnsinns und Tide of Iron). Todesengel macht insgesamt alse eine ganz passable Figur. Trotzdem stellt das Regelheft mit seinen 32 Seiten durchaus eine kleine Einstiegshürde dar.


    Was ist davon nun insgesamt zu halten?


    Das Spiel entstammt der Idee des Fantasy-Flight-Spielautoren-Obermackers Corey Konieczka. Für mich damals ein Grund, das Spiel blind zu kaufen (der andere war -- jaaa, ich geb's ja zu -- die Space-Hulk-Manie). Ich halte Corey Konieczka tatsächlich auch für einen hochqualifizierten Spieleautoren. Der Mann hat schon verstanden, was Leute wie ich gerne spielen wollen, und im Prinzip ist es auch bewundernswert, wie gut es dem Spiel gelingt, genau das zu tun, was ich von ihm erwarte, zumindest in weiten Teilen: Es ist thematisch stimmig, es "fühlt" sich an wie Space Hulk. Es ist aufgrund der Ereigniskarten sogar fast ein wenig stimmungsvoller als das Original. Es hat jede Menge Action, und es wird gewürfelt, was ich aus haptischen und ähnlich irrationalen Gründen immer besonders mag. Wie kann man nur keine Würfel mögen?! (Leider gibt's aber nur einen einzigen mickrigen Würfel in dem ganzen Spiel, dabei wären beispielsweise fünf davon logischerweise bestimmt gleich fünfmal lustiger gewesen. Außerdem kann diese Lusche von d6 noch nicht mal eine "6" erwürfeln. Dafür kann er aber eine "0", und das tut dieser Drecksack leider sogar ziemlich gerne. Würfelpsychologie halt. Ein vernachlässigtes Fach der Psychoanalyse. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.)


    Es ist für mich aber auch völlig klar, dass FFG seinerzeit versuchte, mit diesem Spiel auf den Zug des Space-Hulk-Hypes aufzuspringen; ähnlich vielleicht, wie Games Workshop in den späten 80ern mit dem ersten Space Hulk nicht weniger erfolgreich versuchte, aus dem Hype um den James-Cameron-Blockbuster "Aliens" Kapital zu schlagen. Kann es übrigens sein, dass der Begriff "Space Marines" auch dem Film entnommen wurde? Der ist, nebenbei bemerkt, wirklich Weltklasse.


    Hype hin oder her: Es ist erfreulicherweise überhaupt nicht so, dass das Thema aufgesetzt wirkt -- was nicht heißt, dass man es nicht als kartenbasierter Dungeoncrawl für ein beliebiges anders Setting umarbeiten könnte. Das abgedroschene und einfallslose Terrinoth würde sich dafür anbieten: "Descent - Das Kartenspiel". Gähn. Braucht kein Mensch, aber gibt's wahrscheinlich inzwischen schon.


    Aber zurück zum Spielgefühl. Das Erleben einer Geschichte ist hier also gegeben, aber ist diese Geschichte auch spannend? Ist es der dramatische Kampf auf Messers Schneide? Antwort: Leider nur manchmal.


    Ein paar wenige meiner Solo-Partien Partien standen richtig auf Kippe, sodass ich mich das eine oder andere mal beim lautstarken Jubeln über einen gelungenen Angriff ertappen konnte, oder wenn ein Marine einen Symbiontenangriff gegen alle Wahrscheinlichkeit doch überlebte. Yes! Das sind die Momente, in denen das Spiel uneingeschränkt funktioniert und richtig Laune macht!


    Es kann aber auch anders laufen, und ich habe ganz klar ein Problem damit, wenn das Spiel schon nach den ersten Zügen praktisch entschieden ist, auch wenn theoretisch noch Chancen für eine Wende bestehen. Je früher nämlich ein Ereignis passiert, desto heftiger ist offenbar der Einfluss aufs Spielgeschehen. Wenn einer der Marines in den ersten ein oder zwei Runden stirbt (was durchaus passieren kann, mit ein wenig Würfelpech), dann ist der Fisch schon fast geputzt. Andererseits habe ich, glaube ich, jede Partie gewonnen, bei der ich ohne Verluste in den zweiten der drei Räume kam. In diesen Fällen tut das Spiel nur noch bedingt das, was es soll. Die Story funktioniert zwar noch, aber spannungstechnisch betrachtet ist die Luft raus. Anders gesagt: Der Verlauf ist oft "anti-klimaktisch", wie man es von vielen kooperativen Spielen kennt, nur ist es dummerweise so, dass im Fall Todesengel diese spannungsarme Phase schon sehr früh, und nicht erst kurz vor Schluss eintreten kann. Als ein Spieler, der von einem Spiel vorrangig einen dramatischen Verlauf erhofft, empfinde ich das als unbefriedigend.


    Aber Achtung, nun wird es interessant! Man kann hier etwas wirklich Außergewöhnliches beobachten: Weiterzuspielen macht nämlich selbst unter diesen Umständen noch Sinn, sofern man die Geduld dafür aufbringen kann, sich das Stück bis zum Schlussakkord anzutun. Es kann überraschend befriedigend sein, den Marines beim Kampf bis zum Untergang mit wehenden Fahnen zuzusehen. Das habe ich vorher noch bei keinem anderen Spiel so bewusst beobachten konnte. Selbstverständlich ist nicht garantiert, dass noch etwas Spektakuläres geschehen wird, aber es besteht berechtige Hoffnung: So habe ich eine völlig hoffnungslose Partie in Erinnerung, in der drei Marines unerwartet lange gegen eine unerbittliche Flut von Symbionten bestehen konnten, bis der Bruder Zael (das ist der Kerl mit dem Flammenwerfer) schließlich ganz alleine übrig war. Bevor er von den Symbionten in der Luft zerrissen wurde, äscherte er mit einem letzten Kraftakt aber noch vier von diesen Biestern ein, während er dem Imperator für sein Leben und den glorreichen Tod in der Schlacht dankte (das tat er jedenfalls in meiner Vorstellung)... Irgendwie auch cool, oder? Aber spannend wäre langfristig schon besser.


    Auf der Rückseite der Spielschachtel steht der kleine Stimmungstext: "Nachrichteneingang STUFE ROT ++ (...) Rechnen Sie mit massivem Widerstand. Schätzungen: 44% Erfolgschance bei 86% Verlusten". Das könnte für eine Serie aus Solo-Spielen erstaunlich gut hinkommen: Von den neun Partien habe ich fünf verloren. Im Teammodus fiele die Bilanz dagegen zumindest anfänglich sicher wesentlich schlechter aus für die Marines.


    Es ist also keineswegs unausgewogen; es ist nur verdammt sprunghaft! Das Spiel lässt dem Spieler in manchen Fällen schlicht und einfach keine Chance, egal wie gut man spielt, ähnlich wie ein Flipper, bei dem die Kugel manchmal einfach an allen Wippen vorbeirollt; oder aber die Marines sind derart souverän, dass keine Spannung aufzukommen vermag. Es macht daher auch nicht viel Sinn, Todesengel als Herausforderung zu verstehen, denn dazu ist der Zufallsfaktor zu groß. Vier der neun Partien nahmen in meinem Fall einen krass einseitigen Verlauf: zwei zu Gunsten der Marines, zwei zu Gunsten der Symbionten; die übrigen Partien verliefen dagegen knapp und spektakulär. Einen Zusammenhang mit der Güte meines Spiels konnte ich dabei nicht erkennen.


    Vielleicht kann man es so auf den Punkt bringen: Space Hulk - Todesengel muss man bewusst als Geschichte erleben wollen. Scheut man diese Mühen, so fühlt sich Todesengel billig und hohl an, zuweilen ist es sogar himmelschreiend unfair.


    Und was ist mit dem Mehrspieler-Modus?


    Den haben wir einmal probiert, und zwar schon zu einem Zeitpunkt, als das große Space Hulk von 2009 noch in aller Munde war. Wir hatten damals einen eingespielten Kreis von Leuten, die allesamt einen sehr ähnlichen Spielegeschmack hatten, und regelmäßig zu den Veröffentlichungen von FFG/Heidelberger griffen. Und trotzdem: Es war eine Katastrophe.


    Es ist natürlich immer enttäuschend, wenn man ein neues Spiel anschleppt, von dem man sich viel erhofft -- und dann gefällt es den anderen nicht. Richtig übel wird es, wenn die Mitspieler Dein neues Spiel lächerlich machen. Genau das passierte an diesem Abend. Space Hulk - Todesengel war für diesen Spielerkreis ab da bereits ein für allemal erledigt. Dass ich das Spiel bei meinen Leuten nie wieder auf den Tisch bekommen würde, war vollkommen klar, und ich habe aufgrund dieser enttäuschenden Erfahrung bis heute Hemmungen, es überhaupt irgendwem vorzuschlagen.


    Woran lag's?

    • Schnelle Spielereliminierung, kombiniert mit einer Spieldauer von etwa einer Stunde. Wer Pech hat, scheidet schon in der ersten Runde aus. So etwas funktioniert einfach nicht. Nie. Zumindest habe ich noch nicht erlebt, dass ein solches Spiel mit einer entsprechenden Dauer bei irgendeiner Gruppe jemals gut angekommen wäre. Shadow Hunters beispielsweise ist genau aus diesem Grund ebenso krachend gescheitert (das Spiel gehörte glücklicherweise jemand anderem).
    • Es ist taktisch zu primitiv, viel zu limitiert. Also Solospieler hat man immer genug zu tun und zu entscheiden, aber spätestens ab vier Spielern aufwärts, wenn jeder nur ein Team kontrolliert, wird es sehr überschaubar. So hat man ab der zweiten Runde nur noch die Wahl zwischen zwei Aktionen, und hin und wieder darf man ein paar kleinere Entscheidungen treffen. Es gibt aber keine Modifikationen fürs Terrain, keine Sichtlinien, nichts, was einen taktisch interessanten Shooter ausmachen würde. Dazu kommt noch das Gefühl, mit einem einzigen Würfel und ohne die Option auf irgendwelche Wurfmodifikatorenbeim Kampf quasi "eine Münze zu werfen", wie ein Mitspieler es damals ausdrückte: Kopf = Du lebst, Zahl = Du bist tot.
    • Die thematische Einbindung. Wie oben ausgeführt, bin ich der Ansicht, dass dieses Spiel zu schwach ist, um unabhängig vom Thema überzeugen zu können. Es funktioniert nur gemeinsam mit der Einbindung in die fiktionale Welt. Todesengel scheint eines der Spiele zu sein, das die Spieler allesamt mögen wollen müssen, sonst klappt es nicht. Eine gewisse Sympathie für das Setting scheint mir da unabdingbar zu sein. Von den Beteiligten des Spieleabends war aber keiner wirklich mit dieser Welt vertraut.
    • Es ist an sich schon im Solomodus kaum steuerbar. Im Mehrspielermodus ist es für Anfänger praktisch unkontrollierbar, weil Neulinge die Details der Spezialfähigkeiten der anderen Marines und die Reihenfolge der Abhandlung der Aktionskarten nicht kennen , wie oben bereits im Zusammenhang mit Taktik erläutert. Die so unvermeidlichen Fehler in der Zusammenarbeit der Spieler sind in einem Slapstick-Spiel wie Space Alert witzig, in diesem Spiel aber einfach nur unpassend und frustrierend. Space Hulk ist, wie das 40k-Universum überhaupt, eine humorbefreite Zone. Mir fällt bei dieser Gelegenheit allerdings noch ein, dass Spieler, die Space Alert im fortgeschrittenen Stadium spielen, sich dem Hörensagen nach über solche Fehlplanungen auch längst nicht mehr amüsieren, besonders dann, wenn diese Unfälle außerhalb der Kontrolle der Spieler liegen. Dass man hier auf einen Lerneffekt des Spielerteams abzielt, ist offenkundig und aus Gründen des Wiederspielwerts auch nachvollziehbar. Allerdings ist das schlecht koordinierte Vorgehen der Marines aus thematischer Sicht nicht einleuchtend, was mich persönlich sehr stört. Sind diese für den Kampf gezüchteten Übermenschen nicht die Speerspitze des Imperators? Die Elite der Elite, jeder Einzelne trainiert und über Jahrhunderte(!) gestählt in unzähligen Einsätzen? Und dann stümpern und stolpern sie durch den Einsatz, als wären sie gerade aus dem Genlabor entwischt? Leute, das kaufe ich nicht.

    Dabei wäre es kein Problem gewesen, dem Spiel ganz ähnlich wie bei Space Alert mehrere Schwierigkeitsgrade einzubauen, und das sogar in Übereinstimmung mit der Thematik! Hier ein ad-hoc-Vorschlag:

    • "Trainingslager" = Spiel mit offener Koordination. Keine verdeckt gelegten Aktionskarten, Entscheidungen über "Instinkt"-Ereignisse besprechen. Spezialfähigkeiten der anderen Teams kennenlernen. In selber Teamkonstellation mehrere Durchläufe proben.
    • "Simulation des Ernstfalls" = Spiel nach Regelheft, aber mit der "offiziellen" Erlaubnis zum Abbruch bei absehbarem Ausgang
    • "Einsatz" = Verpflichtendes Durchspielen bis zum Ende, um gegebenenfalls auch die Show der Niederlage erleben zu können, bzw. Spiel nach den offiziellen Regeln
    • "Erschwerter Einsatz" = mit Sanduhr.

    Was mir beim Schreiben dieser Zeilen noch auffällt: Wenn wir uns schon über thematische Plausibilitäten Gedanken machen, weshalb eigentlich nicht gleich Marines mit 2 Köpfen und Rundumsicht züchtet, wenn das mit der Blickrichtung so ein Problem ist? Warum überhaupt Leute in den Space Hulk schicken? Wie wäre es mit Giftgas? Oder mit Kampfrobotern? Da sind manche ja heute schon weiter! Aber ich kann mir schon denken, was da los ist. Wahrscheinlich wäre das alles nicht ehrenvoll genug und würde den Marines keinen Spaß mehr machen, und dann würden sie am Ende vielleicht streiken, wenn nächstes Mal ein Space Hulk ausgeräuchert werden muss. "Wie Giftgas?! Kampfroboter?! Das war aber so nicht ausgemacht! Also ich bin ja schon seit über 400 Jahren beim Imperator, aber wenn ich nicht auch in Zukunft Minimum einmal pro Woche sinnlos verheizt werden soll, dann gehe ich zum Khorne!"


    Abschließend


    Die ersten etwa fünf Solo-Partien haben mir sehr gefallen, aber inzwischen bin ich an dem Punkt angelangt, an dem ich keinen Lust mehr habe. Vermutlich wird sich das irgendwann wieder ändern, aber derzeit fällt das Spiel im Kurs hinter vieles andere zurück, mit dem ich mich in der Freizeit lieber beschäftigen möchte. Ich bereue jedoch nicht, mir die Zeit zum Erlernen des Spiels genommen zu haben und so Todesengel nun auf der Liste der Alternativen für die Freizeitgestaltung zu haben.


    Würde ich es nochmal kaufen? Da bin ich nicht so sicher, denn mir ist schon bewusst, dass mich das Warhammer-Setting mehr reizt, als das Spiel an sich es vermag. Ich würde sogar nicht ausschließen, dass ich das Ding in nicht allzu ferner Zukunft wieder verkaufen werde, aber derzeit kann ich ein halbwegs unterhaltsames Solo-Kartenspiel noch gebrauchen, zumal man es aufgrund der geringen Größe geschwind einpacken und mitnehmen kann.


    Als Mehrspieler-Koop halte ich es aufgrund der desaströsen ersten Spielerfahrung nach wie vor für nicht geeignet. Wenn, so würde ich es nur mit Leuten nochmal probieren wollen, die sich für das Setting begeistern können, und vorzugsweise zu dritt, sodass jeder mit zwei Teams (vier Marines) beginnt und das Risiko einer frühen Spielereliminierung minimiert ist.


    Wer Todesengel spielt, sollte sich auf jeden Fall die Zeit nehmen, der eigenen Vorstellungskraft ihren freien Lauf zu lassen, und sich bei der Gelegenheit vielleicht auch einmal die Zeichnungen auf den Karten genauer anzusehen. Gerade solo hat man dafür genug Zeit. Spielt zumindest eine Partie auch konsequent zu Ende. Wer verwirft, hat mehr verloren als nur die Partie, aber der Reiz solcher Spielerfahrungen schwindet auch irgendwann. Spielt vielleicht besser nicht zu oft hintereinander, so wie ich es zum Ende hin getan habe, um dieses Spiel auch qualifiziert besprechen zu können.

    Soziale Medien fügen Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu.