[2015] Signorie

  • Ich habe in letzter Zeit einige Male #Signorie gespielt, als 2er und 4er. Es vielleicht das thematisch schwächste und zugleich trockenste Spiel unter den großen Spielen von "What's Your Game" (WYG), aber trotzdem gut. Ja, das geht, denn Signorie gehört zu den Spielen, bei dem ein toller Hauptmechanismus (fast) alles herausreißt. WYG steht ja sowieso für eher mechanismuslastige Spiele, und das gilt für Signorie noch viel mehr als für ZhanGuo aus dem letzen Jahr, mit dem Signorie sonst ein recht ähnliches Spielgefühl verbindet. Bei ZhanGuo hat man gerade mal 30 Kartenaktionen pro Spiel, die man passend zwischen Engine Building Aspekten und Siegpunktgewinnung mit Wettrenn-Elementen aufteilen muss. Bei Signorie erfüllen (bis zu) 28 Würfelaktionen quasi den gleichen Zweck. Es geht um Timing, es geht um Effizienz, es geht um Vorausplanung. Es gibt Ziele auf unterschiedlichem Zeithorizont, hat taktische wie strategische Elemente.


    Der Unterschied zu ZhanGuo ist dass, Signorie viel extremer ist in seinen Stärken und Schwächen. Um das Fazit vorweg zu nehmen: die verlagstypischen Stärken sind voll da, auch in Sachen "angenehme Denklastigkeit", der typische Käufer von WYG Spielen kommt also voll auf seine Kosten, aber über so manch anderes muss man dafür hinweg sehen können. Das macht eine Bewertung natürlich irgendwo schwierig...


    Ich bin ja sowieso kein Freund davon, Spiele zu bewerten, indem man diverse Einzelnoten bestimmt und dann den Durchschnitt bildet. So funktioniert das einfach nicht, nicht bei Spielen. Ein solches Wertungsschema mag bei einem Test eines technischen Nutzgegenstandes, sagen wir mal: bei einer Bohrmaschine, absolut angemessen sein, aber nicht bei einem Freizeitvergnügen wie Spielen. Warum holt man denn ein Spiel A aus dem Schrank und nicht Spiel B? Weil A mehr liefert von dem Spielgefühl, das man genau in dem Moment haben möchte. Oder weil es ideal passt für die Gruppe, mit der man gerade spielen will. Die Wahl fällt dagegen nie auf Spiel A statt B, weil A nach objektiven Kriterien unter Berücksichtigung aller denkbaren Aspekte das bessere Spiel wäre. Eine Durchschnittsnote interessiert nicht, Stärken zählen!


    Signorie ist ein wunderbares Beispiel für diese These. Das Thema ist mit "aufgesetzt" noch freundlich umschrieben, die Grafik hat einen eher geringen Auffordungscharakter und das Spiel ist auch sonst weit entfernt von jeglicher Massentauglichkeit. Aber der Würfelwahlmechanismus hat alles, was ein spielmechanisch tolles Spiel auszeichnet: einfache Regeln, dafür aber eine enorme Spieltiefe, und dieser spielerische Anspruch kommt ganz wesentlich durch die möglichen Züge der Mitspieler, die es immer zu berücksichtigen gilt, d.h. das Spiel ist außerdem noch ausgesprochen interaktiv. Der Würfelmechanismus ist ein Volltreffer.


    Wie funktioniert nun dieser Mechanismus? Im Kern ist es die gängige Aktionsauswahl (action selection) mit 5 Aktionsfeldern, nennen wir sie Feld 1 bis 5, zu denen jeweils drei mögliche Aktionen zugeordnet sind, nennen wir sie 1A, 1B, 1C, 2A, 2B, 2C, ..., 5A, 5B, 5C. Die fünf As sind funktional gleich und beziehen sich nur auf unterschiedliche Einsatzorte, genauso die fünf Bs, während die 5 Cs grundverschieden sind. Die As werten zukünftige Aktionen auf einem anderen Aktionsfeld auf (-> engine building), die Bs sind selten optimal, bringen aber etwas Flexibilität und die fünf C-Aktionen sind dann der Kern des Ganzen, hier wird wirklich etwas gemacht, das Siegpunkte in der einen oder anderen Form bringt, meist in Form von Wettrennen um begrenzte Plätze irgendwo in den drei bis fünf Städten, die es je nach Spielerzahl mit eigenen Meeples (Frauen und Männer) zu befüllen gilt. Schon daran sieht man, dass man beim Durchführen der Aktionen schon immer einen schönen Zielkonflikt zwischen kurz- und langfristigen Zielen hat. Aufbau oder Punkte sichern, bevor mir jemand zuvor kommt?


    Der wahre Clou ist aber die Art der Nutzung der farbcodierten Aktionsfelder. Pro Spieler wird ein Würfel passender Farbe für jedes der fünf farbigen Aktionsfelder gewürfelt. Reihum nimmt man einen Würfel weg, um einer der drei farblich zugeordneten Aktionen zu machen. Den Feldern sind Kosten der Höhe 1 bis 5 zugeordnet. Zeigt der genommene Würfel eine niedrigere Zahl als die Kosten, muss man die Differenz in Geld bezahlen. Man darf bis zu vier Würfel nacheinander nehmen, aber jede Farbe dabei nur einmal.


    Weil pro Spieler und pro Farbe ein Würfel vorhanden ist, kann man von bestimmten Aktionen nie komplett ausgeschlossen werden -- solange man ggf. die Kosten für zu niedrige Würfel zahlen kann. Gleichzeitig sollte man jedoch versuchen, in der Summe der genommenen Würfel nicht über 13 zu kommen, denn sonst verliert man einen variablen, aber immer recht starken Rundenendbonus. Deshalb ist es manchmal auch sinnvoll, schon nach drei statt vier Würfeln zu passen. Zu dem "ich will hohe Zahlen nehmen, um nicht zuzahlen zu müssen" kommt daher noch ein "ich will kleine Zahlen, um den Bonus zu bekommen" als Gegengewicht.


    Gleichzeitig ist das Spiel aber so angelegt, dass man in den ersten fünf Runden von der fünften Zielerfüllung nicht mehr so stark profitiert; nur drei- oder viermal das Ziel erfüllen und die anderen Mal dafür in die Vollen greifen bei der Augenzahl ist meist effizienter, zumal manche Boni an den Würfelwert gekoppelt sind. Nur: wann bewusst auf den Bonus verzichten? Und vor allem: was werden die Mitspieler machen, welche Auswahl werde ich haben, wenn ich wieder dran bin? Das Spiel wird zum enorm verzwickten Problem, insbesondere in Vollbesetzung mit vier Spielern. Für Spieler, die empfänglich sind für solche "brain burner", wie der Englischsprachige sie nennt, ist Signorie einfach toll. Genau für diese Zielgruppe überstrahlt der Kernmechanismus so manche Schwächen.


    Wer bei Spielen dagegen ein starkes Thema verlangt, der muss um Signorie einen großen Bogen machen. "Italien zur Renaissance-Zeit" ist eh schon nichts allzu Besonderes und verleitet zumindest mich eher zum Gähnen. Das Thema kommt auch überhaupt nicht durch; selbst von der grafischen Aufmachung her ist da außerhalb des an alte Meister angelehnten Spielecovers wenig Bezug da. Immersion ins Thema: völlige Fehlanzeige, Signorie ist Mechanismus pur. Thematisch wird obendrein ein antiquiertes, wenn auch im historischen Kontext korrektes, Frauenbild propagiert. Ja, es stimmt zwar, dass zu Renaissance-Zeiten nur Männer ausgebildet wurden und Karriere gemacht haben, während Frauen einfach nur möglichst "hochwertig" verheirat wurden, aber wenn das Thema eh ziemlich aufgesetzt ist, dann muss man die Frage stellen dürfen, ob da bei der thematischen Einbettung vielleicht etwas mehr Fingerspitzengefühl angebracht gewesen wäre, und sei es nur in Kleinigkeiten, z.B. mit einer relativen Aufwertung der Auftragsaktionen, wo Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen herrscht. Da es historisch korrekt ist, will ich persönlich das aber nicht negativ werten, kann jedoch auch verstehen, wenn sich jemand daran stört. Dieses Problem hätte so nicht sein müssen.


    Nach meinem Eindruck wurde Signorie auch etwas hastig vor der Spielemesse in Essen 2015 noch veröffentlicht. Bei der grafischen Aufmachung hätte noch ein wenig poliert werden können und auch spielerisch gibt es ein paar unnötige Ecken und Kanten, die auf unzureichendes Playtesting hindeuten. Warum werden z.B. dem Käufer auf einem Extrazettel zur Spielregel drei Varianten angeboten, und zwar Varianten der Art von "eine Runde weniger spielen", "Aufträge dürfen nur einmal statt von jedem beliebig oft pro Runde erfüllt werden" oder "wenn die Plätze in den Städten voll sind, dann sind sie doch nicht voll, man kann sich immer noch daneben stellen". Das sind alles Sachen, wo man eigentlich denkt, dass da Designer und Verlag die verschieden Varianten getestet haben müssten und sich aus gutem Grunde für das eine oder das andere entschieden haben sollten, anstatt das dem Käufer zu überlassen.


    Liest man weiter bei BGG, dann ist das Erscheinungsbild recht klar und das Folgende deckt sich auch mit meiner Erfahrung. Im Viererspiel (und meiner Meinung nach auch nur dort!) sollte man auf keinen Fall die vollen sieben Runden spielen. Solange nicht in den "teuren" Farben in den ersten 1-2 Runden sehr niedrig gewürfelt wird, was den Start für alle durch Zusatzkosten ausbremst, sind sonst spätestens nach sechs Runden die meisten Plätze in den Städten voll und das Spiel plätschert ohne sinnvolle Zugoptionen und Höhepunkte spannungsarm dem Ende entgegen. Umgekehrt hat man im Zweierspiel eher das Problem, dass unattraktive Wappenplättchen in den dann nur drei Städten nie verschwinden. Hier wird im Netz abräumen nach jeder bzw. nach der 2./4./6. Runde vorgeschlagen. Ich empfehle eine Variante der Varianten: auf nicht genommene Plättchen einen Marker legen (die kleinen weißen Scheiben für die Helfer bieten sich da wunderbar an), und wenn sie am nächsten Rundenende immer noch nicht genommen wurden, dann abräumen und ersetzen. (Beim Nehmen solcher markierten Plättchen kommt der Marker natürlich zurück in den Vorrat!)


    Signorie hat tolle Ideen, kommt mir aber nicht ganz zuende entwickelt vor. Würde mich nicht wundern, wenn der Reiz irgendwann nachlässt, weil die strategische Vielfalt doch nicht so riesig ist. So frage ich mich z.B., ob man ohne frühe Freischaltung des "+3 Geld"-Helfers eine Chance hat oder ob die Auftragsaktionen, für die man mit Frauen und Männern bezahlt, nicht ein wenig zu schwach sind. Klar, Flexibilität muss Kosten haben, aber nach meiner Erfahrung werden die Auftragsaktionen eher wenig genutzt, wenn dann am Spielende, um überflüssige Meeples halbwegs gewinnbringend zu verbraten. Bei all diesen Gedanken möchte ich aber ausdrücklich darauf hinweisen, dass dies Ersteindrücke sind. Einmal bewusst darauf gespielt, viele Männer und Frauen für Auftragsaktionen zu kriegen und dabei eher baden gegangen. Den Eindruck gehabt: lohnt nicht wirklich. Sowas halt. Alles unscharfe Eindrücke, aber in Kombination mit den offiziellen Varianten der Sorte "wir wissen selbst nicht, wie's richtig ist" und den übereinstimmenden Meinungen zur Unsinnigkeit von 7 Runden im 4er-Spiel mache ich mir schon ein paar Sorgen.


    Mein Fazit: Signorie hat Ecken und Kanten. Zuviele, um zur absoluten Spitze seines Jahrgangs zu gehören. Aber gleichzeitig ist der zentrale Würfelmechanismus so toll, dass dieser sehr viel herausreißt und ich sicher bin, viele schöne Spielstunden damit zu verbringen. Von daher hat sich der Kauf für mich gelohnt.

  • @MetalPirate: was für eine tolle Schilderung deiner Spieleerfahrung. Ich bin begeistert. Vielen Dank dafür.

  • Mich würde mal interessieren, wie die Interaktion der Spieler bei Signorie abläuft? Nimmt man sich nur die entsprechenden Würfel weg oder ist da noch mehr?

    Meine derzeitigen Lieblingsspiele:

    1. Revive
    2. Die verlorenen Ruinen von Arnak
    3. Woodcraft

    geplant für 1. Quartal '23: Shogun no Katana, Final Girl, Pessoa, Golem, Oltree

    Top all-time Euro's:

    Top all-time Thematic :


  • Mich würde mal interessieren, wie die Interaktion der Spieler bei Signorie abläuft? Nimmt man sich nur die entsprechenden Würfel weg oder ist da noch mehr?

    Man nimmt sich auch gegenseitig Plättchen weg. Und gegen Ende des Spiels evtl. auch Plätze in bestimmten Städten um bestimmte Plättchen überhaupt erst kriegen zu können...


    Das mit den Würfeln kann man aber meiner Ansicht nach schon mit der Interaktion anderer Spiele, bsw. Worker Placment-Spiele, vergleichen. Allerdings ist es hier so, dass es genug Würfel einer Farbe für alle gibt. Die Frage ist nur, ob der Würfel so passend ist, wenn man zu lange wartet? Oder ob man evtl. viel zahlen muss? Ein wichtiger Aspekt des Spiels ist die Belohnung am Rundenende. Mit allen 4 Würfeln darf man einen Schwellenwert von 13 nicht überschreiten. Sonst gibt es den Bonus nicht. Daher kann es manchmal echt böse sein, wenn man nicht die passenden Würfel bekommt.


    Mir hat das bisher immer gereicht an Interaktion in diesem Spiel. Sie ist zwar indirekt durch "Wegschnapp-Effekte" aber durchaus kernig!