Nun will ich mich auch in die Reihe der Ersteindrücke zu #plantanubo einreihen und wähne mich eindeutig auf der positiven Seite. Ich erfülle allerdings auch die Bedingungen, die das Spiel an die versammelte Runde (aka 2 Spielende) stellt. Eine Affinität zur Analyse-Paralyse sollte man sowohl aktiv als auch passiv mitbringen, denn die Züge wollen durchdacht werden. Hier geht es darum aus wenigen Aktionen einen möglichst hohen Outcome zu produzieren. Jeder Zug ist ist wichtig und wenn er nicht mindestens einen weiteren Boni oder gar eine zusätzliche Aktion auslöst, mutet er schon verschwendet an. Das muss man wie eingangs erwähnt mögen. Dazu passt dann auch das geringe Maß an Interaktivität, da man eigentlich stets auf Kante plant und wenn die Gegenüber hierbei zu sehr ins Handwerk fuschen können, ist das eher frustierend denn dem Spaß zuträglich. Die Optimierung der Spielauslage scheint mir das große Credo des Spiels. Morgens aufstehen, das Brett aufbauen und sich im Vorfeld der Partie für einen Spielschwerpunkt festzulegen – diesen gar erforschen zu wollen – ist kein Feature des Spiels. So mein Eindruck. Man lebt mit dem, was situativ vor einem ausliegt und macht das Beste draus.
Wenn man sich mit dieser Design-Idee anfreunden kann, folgt die zweite Hürde des Spiels: die Tendenz zur Kleinteiligkeit. Am Ende ist's wie immer eine Frage des persönlichen Empfindens. Was dem einen "zu fiddely" ist, erscheint dem anderen noch im Rahmen. Ich zähle mich zu letzteren, verstehe aber auch jeden, der dem Widerspricht. Ich habe mir vor meiner ersten Partie mit einem Freund zwei Runden gegen den Solo-Bot draufgeschaufelt und somit einen ganz guten Überblick über das Spiel gewonnen. Planta Nubo bietet in der Tat recht viele Wenn-Dann-Situationen, die jedoch fast alle auf dem Werkzeug-Tableau oder der Rundenübersicht vermerkt sind. Man muss diese Regeln nicht auswendig kennen, aber schon wissen, dass sie existieren. Da man seine Züge um der Optimisierung willen aber ohnehin zerdenken muss, hat man sich die "üblichen Verdächtigen" schnell im Kurzzeitspeicher abgelegt und weiß, dass Aktion A den Boni B ausschüttet oder Nebenaktion C triggert. Aber wie bereits erwähnt, ist das alles eine Frage des persönlichen Geschmacks.
Erwähnt werden sollten die redaktionellen Fehler/Unachtsamkeiten, die dem Zugang zum Spiel sicherlich nicht fördern, aber auch keinen Mastbruch darstellen (ich schaue auf dich Trismegistus). Noch bevor ich Planta Nubo in den Händen hielt, drang bereits der schlechte Ruf der Anleitung an mein Ohr. Und so recht kann ich ihn nicht nachvollziehen. Im Detail finden sich vielleicht Unklarheiten (siehe die Diskussion zur Wald-Aktion), aber im Großen und Ganzen erfüllt sie ihren Zweck. Zum Nachschlagen von Details musste ich schon immer mal ein wenig im Heft suchen und blättern, aber prinzipiell fühlte ich mich nach der Lektüre vorbereitet und sattelfest. Da habe ich schon andere Fiaskos in den Händen gehalten. Ich würde sie schlicht als "okay bis gut" bezeichnen. Nerviger waren da die Fehler, die leider auch bis auf die Tableaus durchschlagen. Etwa das falsche Symbol der Wald-Aktion der dritten Aborstufe, das falsche Container-Symbol auf dem Bot-Tabelau oder die falsche Punktzahl auf einer der Siegpunktkarten. Die Symbolik im Allgemeinen empfand ich als gut nachvollziehbar. Etwas tricky ist vielleicht die Unterscheindung zwischen Blumen, Beeten, Wäldern und Wald-Plätchen. Auch die Zuordnung der Waldfarben auf den Siegpunktmodulen zu den Plättchen bedarf, je nach Lichtverhältnissen, evtl. auch eines zweiten Blicks. Ich hätte es schön gefunden, wenn das Symbol auf den Karten (mehr oder weniger der farbige Umriss eines Baums) sich auch auf den Plättchen wiedergefunden hätte. Auch wenn deren Optik etwas darunter gelitten hätte.
Überhaupt ist das Spiel eigentlich sehr schön geraten. Damit meine ich nicht unbedingt das Material, das schlicht aus Plättchen und Holz-Token besteht (nicht falsch verstehen, das ist absolut in Ordnung) sondern die grafische Gestaltung. Alleine das Cover-Artwork ist fantastisch. Dann die detaillierte Gestaltung der Tabelaus mit dem Arbor und der Werkstatt, der diverse Cast auf den Handwerks-Plättchen oder die bunten, leuchtenden Farben. Auf mich wirkt das alles sehr stimmig, einladend und schlicht "mal anders". Ich habe absolut nichts gegen das typische/klassiche Euro Game (eher im Gegenteil), das nach einer europäischen Großstadt benannt ist und einen mittelalterlichen Marktplatz samt Handwerken und Kirche in allen Schattierungen von grau, braun und stroh darstellt. Aber sowas sonniges wie Planta Nubo darf es eben auch gerne mal sein. Überhaupt versprüht das Spiel – das ist natürlich auch dem Setting geschuldet – sehr positive Vibes und skizziert ausnahmsweise nicht die nächste Dystopie.
Leider schlägt das Thema nichts allzusehr auf die Mechanik durch. Streicht man die Anpflanzung der Beete, die Luftschiffe und die Sauerstoffproduktion durch den Abtransport der Container, bleibt nicht viel übrig von der schönen neuen Solar-Welt. Parallel zum Spiel ist auch eine Kurzgeschichtensammlung im Buchhandel erschienen (eine Leseprobe liegt dem Spiel bei), die die Spielwelt "Overgrown" zum Thema hat. Allein das empfinde ich schon mal als super spannende und unterstützenswerte Idee. Ich bin etwa zur Hälfte mit dem Buch durch und würde es als ganz fluffige Lektüre bezeichnen. Bislang spart sich das Buch die Hintergründe der Katastrope im Detail aus (ich schätze da kommt auch nichts mehr), skizziert dafür aber schöne Streiflichter des Alltags der Menschen in der post-apokalyptischen Welt (von den ArbeiterInnen auf den Feldern bis zu den Suchtrupps in den Ruinen unserer Zivilisation) von Planta Nubo. Jede Geschichte stammt aus einer anderen Feder, was sich natürlich auch im Inhalt und Stil niederschlägt. Diese Vielfalt und Abwechslung ist zugleich sinnbildhaft für die skizzierte Gesellschaft, die ein Stück weit eine Utopie darstellt. Ohne mit der (Moral-)Keule zu schwingen sondern einfach en passent im Zuge der Erzählungen werden zum Beispiel alte Klisches und Erwartungen über Geschlechter(-rollen) und Formen des (Familien-)Zusammenlebens über Bord geworfen. Oftmals ist es dabei schlicht ein einfach Satz wie "meine Mütter warten schon zu Hause auf mich" der den Pinsel ganz natürlich schwinkt und zum schönen Gesamtbild beiträgt. Ich lese mehr Anleitungen als Romane und bin deswegen überhaupt nicht geeignet, ein Buch einzuordnen. Aber auch ich als Zaunsgast in Sachen Literatur kehre gerne am Abend für eine Kurzgeschichte zum Buch zurück. Man sollte (zumindest bis zu dem Punkt an den ich vorgedrungen bin) keine große Klammer um das Brettspiel und dessen Welt erwarten. Hier werden nicht die großen Räder Ursasche und Wirkung aufgezeigt, sondern der Alltag der kleinsten Komponenten im Uhrwerk. Wie Streiflichter. Die "handfesten" Themen die im Buch Erwähnung finden, haben dann aber leider auch keine Entsprechung im Spiel selbst. Hier hätte man vieles aufgreifen und auch in die Mechanik gießen können. Aber ich vermute, dass das schlicht/auch dem zeitlichen Ablauf des Projekts geschuldet ist. Ich meine im Kopf zu haben (aus den Entwickler-Tagebuch?), dass das Buch erst später in der Entwicklung des Spiels entstanden ist. Wäre zumindest eine plausible Erklärung. Nichtsdestotrotz sehe ich in meiner Fantasie neue Spiele verschiedenster Coleur, die alle in der Welt von "Overgrown" angesiedelt sind und diese "mit Leben befüllen". Reizvoll wäre es ja irgendwie.
Lange Rede, kurzer Sinn: Planta Nubo ist für mich ein ganz spannendes Gesamtprojekt, gerade durch die Kombination von Buch und Spiel. Das Geschehen auf dem Brett ist nicht frei von Ecken und Kanten, die eine neue Auflage und/oder Korrekturen (ich glaube Version 1.1 der Regeln ist erst dieser Tage erschienen) jedoch ausbügeln können. Dannach bleibt ein Spiel, dessen Charakter man mögen muss; sonst wird das nichts. Situative Optimierung als Kernkonzept, Geduld beim Denken (aktiv wie passiv) und bisweilen kleinteilige Aktionen sollten einen nicht abschrecken. Und auch dann denke ich, sprechen wir "nur" von einem guten Titel, den man nicht im überfüllten Regal haben muss. Aber kann. Vermutlich werde ich es auch maximal zu zweit spielen, sonst wird das eine zu lange Angelegenheit. Die extrem negativen Beiträge über die Anleitung/Redaktion des Spiels kann ich in ihrer Schärfe nicht nachvollziehen. Die Fehler sind ärgerlich, aber kein Dealbreaker. Ich habe keine Ahnung von der Verlagsarbeit oder den Zeitdrücken vor der Messe, kann mir aber vorstellen, dass das für einen neuen Verlag mit seinem Erstlingswerk (bekannte Autoren hin, bekannte Autoren her) ein Pfund ist, dass man erst einmal wuppen muss. Man wird sehen, wie damit umgegangen wird (die neuen Regeln habe ich zum Beispiel noch nicht gelesen). Ein Errata mit allen bekannten Fehlern würde ich mir zum Beispiel wünschen. Insgesamt bin ich bei solchen Sachen aber auch sehr verzeihlich und honoriere lieber die Vision und den Mut hinter dem Gesamtprojekt anstatt mich an dessen Fehlern abzuarbeiten.