Die Uhr tickt, die Spannung steigt und die Vorfreude ebenso. Die SPIEL 2016 naht. Nur noch wenige Tage, Stunden, Atemzüge, bis wir die heiligen Hallen von Essen erneut stürmen werden. Im Rückblick betrachtet sollten wir eigentlich lernfähig sein, schlauer geworden, stärker Kopf gesteuert. Aber wenn die Messetore öffnen, übernimmt auch und besonders bei mir der Spielerbauch das Denken. Dabei sollte ich es eigentlich besser wissen, aus Erfahrungen gelernt haben.
Papperlapapp, die Spielemesse möchte ich genießen und nicht analytisch zerdenken. Deshalb lasse ich mich allzu gerne begeistern. Lasse mich von der besonderen Stimmung am Demotisch mittragen und habe nicht selten, aus der Situation entstanden, anschließend freudestrahlend meine Geldbörse gezückt und die Neuheit nach Hause getragen.
Blöd nur, wenn sich diese so besondere Atmosphäre der SPIEL zu Hause am Spieltisch schlicht nicht mehr reproduzieren lässt. Plötzlich werden die spielmechanischen Unzulänglichkeiten klar, treten in den Vordergrund und die lieben Mitspieler können gar nicht nachvollziehen, warum man ihnen so einen Mittelmass vorsetzt. Dabei war die Neuheit auf der Messe doch so grandios. Ist man erneut auf einen Blender hereingefallen?
Klares Jein. Eine tolle Spielpartie lebt für mich vom Gesamterlebnis. Dazu gehört nicht nur das passende Spiel zur passenden Zeit im Kreise von passend entspannten Mitspielern. (Die Reihenfolge bestimmt Ihr.) Ebenso spielt das perfekte Drumherum eine bedeutende Rolle für mich. Und genau in der perfekten Gestaltung dieses Drumherums - weitaus mehr als einfach nur Rahmenbedingungen, eher ein tief verwurzeltes und wohliges Bauchgefühl - sind viele Aussteller inzwischen echte Profis geworden.
Da treffen wir auf der SPIEL auf Erklärbären, die einen durch ihre angenehme Art einfach mitreißen können. Herausragendes Paradebeispiel ist für mich der langjährige Erklärbär von Asmodee mit der Schirmmütze. Ihr wisst sicher, wen ich meine. Seinen Namen erinnere ich zwar leider nicht, ich weiß aber, dass ich dem wohl so fast jedes Spiel abkaufen würde. Ehrliche Begeisterung, die ansteckend ist. Schließlich will ich doch auch unterhalten werden und bin da ein dankbarer Abnehmer dieser Positivstimmung.
Ebenso treffen wir auf Autoren, denen ich ihre Leidenschaft und das Herzblut, welches in ihre Neuheit geflossen ist, anmerke und abnehme. Wenn mir da jemand mit einem Leuchten in den Augen gegenübersteht, mich mitnimmt auf eine Reise in seine selbsterschaffene Brettspielwelt, dann lasse ich mich gerne begeistern. Heinrich Glumpler ist mir als herausragend erzählender Autoren in bester Erinnerung geblieben, steht aber nur hier namentlich als einer von vielen Herzblut-Autoren, deren Worte ich begierig aufsauge.
Völlig klar und nachvollziehbar, Aussteller und Verlage wollen sich bestens präsentieren, wollen verkaufen, setzen auf ihre besten Leute und fahren ihr bestes Unterhaltungsprogramm auf. Das schafft Rahmenbedingungen, die so manche Neuheit weitaus stärker glänzen lässt, als sie es von alleine vermögen könnte. Eben dieses besondere Drumherum, das sich so schwierig zu Hause reproduzieren lässt.
Eigentlich müsste ich deshalb und in diesem ganzen Wissen meinem Kopf als Bedenkenträger die Führung auf der SPIEL überlassen, meinen emotionalen Spielerbauch in Urlaub schicken. Dann würde ich sicherlich so manche Neuheit liegenlassen. Zu recht. Aber zeitgleich auch so viel von dem aufgeben, was für mich die Faszination Brettspiel ausmacht.
In diesem Sinne, gönnt Euch Bauchentscheidungen und lasst Euch von der SPIEL mitreißen, begeistern und genießt den Moment. Selbst wenn er einmalig bleiben wird. Wir sehen uns in Essen am Spieltisch - mit Leuchten in den Augen und der Vernunft auf Urlaub.
Euer Ralf "ravn" Rechmann